Boat People

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783963112690
Sprache: Deutsch
Umfang: 480 S.
Format (T/L/B): 3.8 x 22.2 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Aufwühlendes Porträt einer der großen humanitären Krisen unserer Zeit Als ein verrostetes Frachtschiff mit 500 tamilischen Flüchtlingen die Küstengewässer der Vancouver Island erreicht, glaubt Mahindan, dass er und sein sechsjähriger Sohn Sellian ein neues Leben beginnen können. Stattdessen wird Sellian den Armen seines Vaters entrissen, und Mahindan wird zusammen mit den anderen Flüchtlingen ins Gefängnis geworfen. In Regierungskreisen und den Medien kursieren Gerüchte, dass sich unter den Boat-­People Mitglieder einer gefürchteten Terrormiliz eingeschlichen haben. Angesichts zunehmender Verdächtigung und endloser Verhöre muss Mahindan befürchten, dass das, was er notgedrungen und in letzter Verzweiflung tun musste, um zu überleben und aus Sri Lanka zu flüchten, ihm und seinem Sohn jetzt die Aussicht auf Asyl versperrt Mit ihrem Roman 'Boat People' ist der Autorin ein großartiges und spannendes moralisches Drama gelungen, einfühlsam und tief berührend erzählt. Sie wirft die Frage auf, welchen Preis ein Land zu zahlen bereit ist, wenn es im Namen der öffentlichen Sicherheit das Leben anderer Menschen aufs Spiel setzt, und was es heute bedeutet, Mensch zu sein.

Autorenportrait

Sharon Bala, geb. 1979 in Dubai, lebt seit 1986 in Kanada, ihre Familie stammt aus Sri Lanka. Sie hat an der Queen's University/Kingston und der University of Toronto studiert. Ihr Debütroman »The Boat People« (2018) wurde in Kanada ein großer Erfolg, gewann mehrere Preise, u. a. den Harper Lee Prize for Legal Fiction (2019), den Amazon Canada First Novel Award (2018) und den Margaret and John Savage First Book Award (2019), und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Leseprobe

Auszug 1 Kap 37: Was kann man da machen? Prasad sprach mit den Wärtern und kam in den Besitz einer anderen Zeitung. An diesem Abend las er einer Gruppe von Männern am Esstisch einen weiteren Artikel vor. Draußen war es stockdunkel. Mahindan hätte gern gewusst, wie die Nachtluft schmeckte, welche Sterne man in Kanada sehen konnte. Auf dem Schiff waren sie wenigstens frei gewesen. Zwei Monate Pause zwischen Bomben und Gefängnis. Vom oberen Deck aus hatte man unzählige Sterne sehen können, tausende mehr, als er je vom Ufer aus gesehen hatte. Oft hatten Sellian und er, in eine Decke eingewickelt, mit klappernden Zähnen dagesessen und den Nachthimmel betrachtet, bis ihnen das Genick wehtat. Sellian konnte den Pfad der sieben Weisen nachzeichnen, und Mahindan zeigte ihm die Ehefrauen der Weisen - die Karthigai, sechs helle Sterne in der Anordnung eines Ohrrings. Wenn Sellian nicht schlafen konnte, erzählte Mahindan ihm die Geschichte von den Göttern und Dämonen, die gemeinsam den Milchozean umrührten, wie sie sich tausend Jahre lang abmühten, den Nektar der Unsterblichkeit zu gewinnen, am Ende aber ein schlimmes Gift vorfanden. Welche Sterne konnte Sellian jetzt sehen? Erzählte Kumurans Frau ihm Geschichten? Wenn er zu seinen Anhörungen fuhr, traf er gelegentlich mit den Frauen zusammen, und Hema hatte ihm gesagt, dass ihr Gefängnis gar nicht so schlecht war. Sie hatten einen Raum mit viel Spielzeug, wo die Kinder sich aufhielten. Mahindan malte sich oft aus, wie Sellian dort mit Rennwagen spielte oder aus Holzblöcken Festungen baute. Prasad las den Zeitungsartikel erst auf Englisch, dann übersetzte er ins Tamil: Die Regierung von Sri Lanka betont, dass totaler Frieden im Land herrsche und dass die Armee bei ihrem letzten Vorstoß in das von den Rebellen gehaltene Gebiet alles getan habe, die zivilen Todesopfer zu minimieren. Noch ehe er den Satz beendet hatte, zischten die Männer und schüttelten die Köpfe. Der letzte Vorstoß, sagte der Mann im Rollstuhl am Ende des Tisches. Da haben die sich noch mal so richtig ins Zeug gelegt, uns kurz und klein zu schlagen. Totaler Frieden!, schimpfte ein anderer Mann und hob sein Hemd hoch, um die Brandflecken zu zeigen, die sie ihm mit Zigaretten auf dem ganzen Oberkörper verpasst hatten. Das nennen die Singhalesen Frieden. Der Mann im Rollstuhl wackelte mit dem Kopf und schnippte mit der Hand durch die Luft. Ein toller Frieden, nicht? Das ist es ja, sagte Prasad. Die Regierung von Sri Lanka füttert die Kanadier mit einem Sackvoll Lügen. Wir müssen auch eine Gelegenheit bekommen, die Geschichte aus unserer Sicht zu erzählen. Er legte die Zeitung auf denTisch und der Mann mit den Brandwunden schnappte sie auf und überflog den Artikel. Mahindan fragte sich, wieviel er davon eigentlich lesen konnte. Er selber hatte es auch schon mal mit der Zeitung versucht, die Prasad auf dem Frühstückstisch liegengelassen hatte. Er hatte auf den unverständlichen Text gestarrt und nur wenige Worte entdeckt, die er verstand. Schiff. Tamil. Und. Wenn Mahindan jetzt mit seinen Anwälten zusammen kam, versuchte er, so viel Englisch wie möglich zu sprechen. Er überlegte sich vorher, was er sagen wollte und übte es, flüsterte die Worte vor sich hin, immer und immer wieder. Aber seine englischen Sprachkenntnisse stammten aus Kinderbüchern. Jedes Mal, wenn er meinte, Fortschritte gemacht zu haben, erinnerte ihn etwas Einfaches wie eine Zeitung daran, was für einen langen Weg er noch zu gehen hatte. Prasad war auf die Idee gekommen, einen Brief zu schreiben. Auf Englisch, sagte er. Aber wir müssen klar und deutlich sagen, wie es um uns steht. Auch die Frauen. Wir können denTamilischen Bund bitten, diesen Brief an die Zeitungen zu verteilen. Mahindan war begeistert von Prasads Initiative, von seiner Fähigkeit, Lösungen zu finden. Ranga musste natürlich wieder greinen. Er zeichnete mit dem Daumennagel die Narbe auf seiner Wange nach - eine Angewohnheit, die Mahindan immer wieder irritierte - und sagte: Wozu denn? Die haben doch schon ihre feste Meinung. Wenn du bloß querschießen willst, dann verschwinde, fuhr Mahindan ihn an. Prasad nahm ein Stück Papier aus der Tasche, faltete es auf und sagte, Hört doch mal, was ich geschrieben habe. Ein Wärter unterbrach sie mit einer Nachricht für Mahindan. Er hatte Besuch. Jetzt?, fragte Mahindan auf Englisch. Es war 20:00Uhr. Ihr Rechtsanwalt, sagte der Wärter, und Mahindan sprang auf. Hema und ihre Töchter waren entlassen worden. Die Richter mussten sich seinen Fall noch einmal angesehen und beschlossen haben, ihn auch frei zu lassen. Sie gingen den Korridor entlang, Mahindans Gedanken rasten wie wild. Bald wird das alles - die schweren Fußtritte in der Dunkelheit, die Alpträume der anderen - all das wird nun bald hinter ihm liegen. Er und Sellian werden wieder zusammen sein und ein neues Leben beginnen können! Erst als sie sich dem privaten Gesprächsraum näherten, ging ihm auf, dass das ja gar nicht stimmen konnte. Seine letzte Haftüberprüfung war negativ ausgefallen, und die nächste war schon für die folgende Woche anberaumt. Durch das kleine Türfenster konnte er Sam Nadarajah neben Mr. Gigovaz sitzen sehen. Einen kurzen Moment lang glaubte er, es ginge um Prasads Brief. Aber als er im Zimmer war, sah er die düsteren Gesichter. Wir müssen Ihnen etwas mitteilen, sagte Sam auf Englisch. Bitte nehmen Sie Platz. Mahindans Kopf wurde erschreckend leicht und er hatte Mühe, sich an der Stuhllehne festzuhalten. Irgendetwas ist mit Sellian passiert. Die Tür fiel ins Schloss, er sah zurück, wurde von wilder Panik gepackt und wollte nur loslaufen und seinem Sohn helfen. Sie hatten sich am Samstag das letzte Mal gesehen. Er hätte Sellian fester im Arm halten sollen. Er hätte ihn nicht loslassen dürfen. Was ist passiert?, fragte Mahindan auf Tamil. Ist Sellian krank? Verletzt? Ist er. Sam winkte beruhigend ab. Dem Jungen ist nichts passiert. Wo ist er? Im Krankenhaus? Illai. Nichts dergleichen. Setzen Sie sich doch hin. Ukkarru, ukkarru. Mahindan zog, ohne hinzusehen, den Stuhl heran. Dem Jungen ist nichts passiert. Sam und Mr. Gigovaz besprachen sich auf Englisch, und Mahindan der nichts verstand, starrte den Tisch an. Er versuchte, den Schreck zu dämpfen, das Adrenalin, das ihm durch den Körper geschossen war, einzudämmen. Doch schon kam ein neuer Schreck: Sie waren wegen der Dokumente gekommen. Sam sprach auf Tamil: Wir kommen aus dem Frauengefängnis. Die Sache ist Savitri geht es nicht gut. Irgendeine Krankheit?, fragte Mahindan. Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er war seit einiger Zeit sehr ängstlich geworden. Er erschrak beim geringsten Anlass und konnte den Schreck nur schwer überwinden. Sie ist erschöpft. Depressiv. Nimmt nichts zu sich, kann nicht schlafen. Das geht nun schon eine Weile so. Sie schafft es nicht mit zwei kleinen Kindern. Okay, kein Problem, sagte Mahindan auf Englisch. Er sah jetzt, dass es eigentlich eine gute Mitteilung war. Er wäre erleichtert, die Verbindung zu dieser Frau endlich zu lösen. Er sagte, Sellian kann hierher kommen. Sam schaute weg, an Mahindan vorbei zur Wand hinter ihm. Die herangezogenen Sachverständigen meinen, dass es das Beste für Sellian ist, vom Gefängnis weg zu kommen, sagte er. Da ist ein Paar, das sich bereit erklärt hat, für Sellian zu sorgen. Die wohnen ganz in der Nähe, dreißig, vielleicht vierzig Minuten mit dem Auto. Mahindan war verwirrt. Er schaute zu Mr. Gigovaz hinüber und sah sein hartes Gesicht. Für den Rechtsanwalt gab es an den Maßnahmen, die ergriffen werden mussten, nicht zu rütteln. Die wollen meinen Sohn in eine andere Familie stecken?, fragte er Sam auf Tamil. Nur bis zu Ihrer Entlassung, sagte Sam. Nur auf begrenzte Zeit. Diese Leute hatten keine eigenen Kinder und wollten jetzt seinen Sohn haben. Mahindan sagte mit bebender Stimme: Ich dachte, die Kanadier hassen uns. Sie wünschen, unser Schiff wäre weggeschickt worden. Jetzt wollen sie unsere Kinder. Nur vorübergehend, s...