Beschreibung
Für Sarah herrscht absoluter Stillstand. Vor kurzem starb ihr Mann Fabian an einem Hirntumor, und sie verlor ihr gemeinsames ungeborenes Kind. Sie wird beurlaubt und meldet sich, trotz innerer Widerstände, bei einer Trauergruppe an. Dort trifft sie auf den knapp dreißig Jahre älteren Johannes. Bei einer Unterbrechung der Gruppentermine entschließt sich Sarah, mit ihm nach La Gomera zu reisen. Auf einer Wanderung verirrt sie sich im hochgelegenen Wald. Johannes entdeckt sie, und bei einem Streit verletzt sich Sarah. In den Bergen finden beide Zugang zu ihrem Schmerz.
Autorenportrait
Patricia Paweletz wurde in Hamburg geboren. Sie hat dort Germanistik und Theaterwissenschaften studiert, außerdem Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Mit ihrem literarischen Debüt Die Kirgisin wurde sie vom Lit Hamburg zur Bestenlesung ins Literaturhaus eingeladen sowie zur Unesco in Paris. Inspiriert von ihrer Arbeit als systemische Familientherapeutin hat sie Dokumentationen über Zwillinge und transgenerationale Themen geschrieben. Erzählungen von ihr wurden in Anthologien u.a. bei Rowohlt, Insel, Jüdischer Verlag/Suhrkamp veröffentlicht. HERZBRUCH ist ihr dritter Roman.
Leseprobe
Ehefrau zu sein heißt, jemanden zu haben, der immer wiederkommt, der zu einem gehört, der passende Deckel zu einem ungewöhnlich geformten Topf. Einem Topf mit Blumenmuster und Kratzern, in dem schon oft die Suppe hochgekocht ist. Ohne Deckel läuft ständig alles über. Mutter sein: Leben geben, leben lassen, da sein. Es könnte immer sein, dass das Kind zurückkommt, weil es einen Schuh vermisst, weil sein Arm gebrochen ist - oder sein Herz. Weil es sein Lieblingsspielzeug verloren hat oder seinen Lieblingsmenschen oder sich selbst. Mutter sein heißt, immer offene Arme zu haben, ein offenes Ohr, ein offenes Herz. Wenn das Kind der Mutter nicht mehr ist, sind ihre Arme, ihr Ohr, ihr Herz immer noch offen. Vier Monate habe ich in der Dunkelheit in einer Art Lähmung verbracht, vergleichbar mit der Winterstarre von Amphibien und Reptilien. Wie ein Tier habe ich mich verkrochen und alle Körperfunktionen auf nahezu null heruntergefahren. Plötzlich fange ich ohne Vorwarnung an zu schluchzen, laut und heftig. Johannes hält mich weiter fest, und ich spüre, wie auch sein langer Köper zu beben beginnt, während aus mir ein enormer Tränenfluss strömt. Der Damm ist gebrochen. Mir ist nicht kalt, nicht warm, ich spüre die Feuchtigkeit nicht, die mein T-Shirt durchdringt, fühle nur unsere Knochen, die sich gegenseitig Halt geben. Zwei Skelette, die sich umarmen. Wo sind die Geister unserer Toten?