Beschreibung
"Der Besuch war schon mehrfach erwogen und immer wieder verworfen worden. Einige Gläser im Café MORA in Berlin Kreuzberg (laut Karte: Müller Whisky, ein Drittel Glenfiddich, zwei Drittel Wasser), und ein neuer Anlauf war beschlossen. Wer diesmal den Anstoß gab, Ernst Jünger besuchen zu wollen, weiß ich nicht mehr; nur noch, daß Heiner Müller beim Abschied sagte: - Arrangiere das, Stichwort: Ernesto, und denke daran, wenn du mich anrufst, telefonierst du mit allen Geheimdiensten dieser Welt. Auch sonst zu keinem ein Wort, sonst stehen die ganzen Idioten von der Presse vor der Tür. Wir schreiben spätes Frühjahr 1987. Hinter jedem Großen Mann steckt eine starke Frau. Dieser Erkenntnis folgend schrieb ich einen Brief an Frau Dr. Liselotte Jünger mit unserem Anliegen. Treffer. Ein paar Briefe gingen hin und her. Dann war es an der Zeit, ein paar Zeilen Heiner Müllers an Ernst Jünger persönlich beizulegen. Müller und einen Brief schreiben, wer ihn kannte, weiß um diese Hürde. (Wir kannten uns damals schon rund fünfzehn Jahre und ganz gut) Also wieder Café MORA und Müller Whiskys. Um sieben Uhr waren wir verabredet, gegen acht kam er, um Mitternacht war der Entwurf fertig. Wir auch. Monate später die Zusage von Frau Jünger: Montag 15. Februar 1988, gegen 15 Uhr, wäre uns angenehm." Aus: Manfred Giesler, Theater der Zeit, Jahresheft 2009
Autorenportrait
Manfred Giesler ist in den Trümmern Nürnbergs aufgewachsen. Er hat hin und wieder Standorte und Ansichten gewechselt, hat durch Einsichten auf manche Aussichten verzichtet. Als Theatermensch und Kunstvermittler lebt er seit Jahrzehnten in Berlin. Er arbeitet im ehemaligen Atelier von Günter Bruno Fuchs. Dort gründete er mit Johannes Grützke den Günter Bruno Fuchs Literaturpreis.
Leseprobe
Wie wirkte er als Person auf Dich? "Jünger ist ein sehr graziler alter Mann. Er bewegt sich sehr leicht. Er hat ungeheuer viel Sekt getrunken. Ich vertrage keinen Sekt. Es war sehr schwierig für mich, mitzuhalten, so ein Glas nach dem anderen. Es gab ein Frühstück dazu. Die Plätze waren vorgeschrieben, Giesler galt als mein Fahrer. Aber er konnte sich auch als Kenner von Jüngers Werk profilieren, weil er gerade etwas Unangenehmes an der Grenze von Italien nach Deutschland erlebt hatte. Er hatte "Annäherungen. Drogen und Rausch" von Jünger neben sich im Wagen liegen gehabt. Der italiensche Zöllner sah hin und sagte:"Sie lesen Ernst Jünger, interessant." Der bayrische sah das Buch und sagte: "Machen Sie den Kofferraum auf und leeren Sie Ihre Taschen." Jünger war glücklich über die Geschichte." - Aus Heiner Müller, 'Krieg ohne Schlacht Leben in zwei Diktaturen' Wilflingen, 14. Februar 1988 "An Besuchern ist ferner zu erwähnen Heiner Müller, einer der wenigen Autoren, die aus der Zone ausreisen dürfen." - Aus: Ernst Jünger, 'Siebzig verweht IV'