Beschreibung
Die Märchen der Brüder Grimm - bereits seit 200 Jahren kennen und lieben sowohl Kinder als auch Erwachsene die Geschichten von Schneewittchen, Aschenputtel und Co. Seit dem letzten Viertel dieser 200 Jahre bestimmen dabei oftmals die Gesichter aus den Märchenadaptionen des amerikanischen Filmemachers Walt Disney die Vorstellungen von schönen Prinzessinnen und tapferen Prinzen. Vor dem Hintergrund der weiblichen Emanzipationsbewegung kommt hinzu, dass beispielsweise eine zurückhaltende, träumerische Cinderella von einer Bratpfannen schwingenden Rapunzel abgelöst wurde. Der Inhalt der Märchen bzw. Märchen-Adaptionen beinhaltet nicht mehr nur konventionell gehaltene Rollenbilder, sondern trumpft auf mit handlungsaktiven Prinzessinnen und zum Teil unsicheren Prinzen. Die vorliegende Studie möchte zeigen, wie es zu dieser Wandlung gekommen ist und untersucht, ob sie ausschließlich progressiv zu bewerten ist oder ob dabei auch mögliche Gefahren festzustellen sind.
Autorenportrait
Carolin Kotthaus wurde 1988 in Nordrhein-Westfalen geboren. Auf Grund ihrer Begeisterung für Literatur und die englische Sprache nahm sie an der Bergischen Universität Wuppertal ein Studium der Fächer Germanistik und Anglistik auf und schloss es 2013 mit einem Bachelorabschluss erfolgreich ab. Auf der Suche nach einem Thema für ihre Abschlussarbeit stieß sie auf Gender-Aspekte in populären Zeichentrickfilmen, die sie dazu bewegten, dieses Thema in der vorliegenden Studie genauer zu untersuchen.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 2.1.2, Handeln und behandelt werden :Schneewittchens positives Erscheinungsbild beruht nicht nur auf ihrer Schönheit, sondern auch auf ihrer Tugendhaftigkeit. So bedient sie sich zwar beispielsweise vor lauter Hunger an der Mahlzeit der sieben Zwerge, bleibt dabei aber immer noch gerecht. Sie isst nicht einen einzelnen Teller leer, sondern achtet darauf, dass sie von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot nimmt und von jedem Becherlein einen Tropfen Wein trinkt. Auch ist Schneewittchen ein frommes Mädchen. Nachdem sie ein Bett gefunden hat, das groß genug für sie ist, schläft sie nicht sofort ein, sondern spricht zuerst noch ein Abendgebet, worin sie sich Gott anbefiehlt. Nachdem sie am nächsten Morgen merkt, dass die Zwerge ihr wohlgesonnen sind, lässt sie sich auf einen Handel mit ihnen ein, um das eigene Überleben zu sichern. Schneewittchen verspricht, alle Tätigkeiten im Haushalt zu übernehmen. Sie will kochen, betten, waschen, nähen und stricken, um im Gegenzug freie Kost und Logis zu erhalten. Schneewittchens Tagesablauf sieht so aus, dass sie tagsüber, wenn die Zwerge ihrer Arbeit nachgehen, den Haushalt führt. Die Zwerge erwarten von ihr, dass abends das Essen bereitsteht, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen. Man findet im Märchentext keine Information darüber, dass Schneewittchen sich diesen Anforderungen widersetzt oder sich Gedanken darüber macht, wie sie dieser Situation entkommen kann. Sie scheint zufrieden zu sein; der Leser erfährt nicht, ob sie Pläne für die Zukunft hat. Die drohende Gefahr in Gestalt der bösen Stiefmutter schwebt über dieser scheinbaren Idylle. Das Tugendhafte, das Schneewittchen bereits zuvor gekennzeichnet hat, ist auch jetzt wieder zu sehen, diesmal führt es jedoch zu Schneewittchens Unglück. Obwohl sie von den Zwergen mehrmals eindringlich gewarnt worden ist, niemand hereinzulassen, unterliegt Schneewittchen der List der bösen Königin, da sie nie etwas Böses bei den Angeboten der verkleideten Stiefmutter vermutet. Schneewittchen scheint immer nur das Gute im Menschen zu sehen. Ob das reine Tugend oder einfach Arglosigkeit ist, ist fraglich. So führt ihr Verhalten dazu, dass sie immer wieder durch die Zwerge gerettet werden muss. Auch sind es die Zwerge, die ihr erklären müssen, dass die alte Krämerfrau [] niemand als die Königin war, und die sie warnen noch einmal auf [der] Hut zu seyn und niemand die Thüre zu öffnen. Es scheint, als ob Schneewittchen dies alleine nicht kombinieren kann, was auch wieder auf eine gewisse Arglosigkeit schließen lässt. Aus heutigem Blickwinkel könnte man sogar kindliche Arglosigkeit sagen, denn da Schneewittchen im Märchen erst sieben Jahre alt ist, ist sie nach heutigen Maßstäben nichts anderes als ein Kind. So ist es auch nur verständlich, dass sie beim dritten Besuch der verkleideten Stiefmutter den angebotenen rotbackigen Apfel mit kindlichem Verlangen anlustert und erneut auf den Trick der bösen Königin hereinfällt. Auch für die vorherigen Gegenstände interessiert sich Schneewittchen nicht etwa, weil sie eitel wäre, sondern weil sie arglos ist. Man findet im Text keine Hinweise darauf, dass Schneewittchen über einen Plan zur Beseitigung der gefährlichen Stiefmutter nachdenkt. Deutlich ist also festzustellen: Schneewittchen ist keine aktive Heldin, die für sich selbst einsteht. Sie schafft es zwar, den Prinzen für sich zu gewinnen, der sie dann rettet, doch diese Rettung geschieht nicht durch List und Mut, sondern nur durch ihre unschuldige Schönheit und schöne Unschuld. Schneewittchens letzte Handlung ist ihre Zustimmung zur Hochzeit mit dem Königssohn. Obwohl sie ihn vor ihrem Erwachen offensichtlich noch nie gesehen hat, ist sie einverstanden, seine Gemahlin zu werden. Der Leser erfährt dabei nur, dass Schneewittchen dem Königssohn gut ist. Er weiß jedoch nicht, ob dies eine spontane, unüberlegte Handlung aus Liebe ist, was ein Märchenende wahrscheinlich in den meisten Fällen suggerieren möchte, oder ob Schneewittchen mit der Heirat eine Aufstiegschance sieht, dem eintönigen hausfraulichen Leben bei den Zwergen zu entkommen und stattdessen eine Königin zu werden, die nun sogar miterleben kann, wie ihre böse Stiefmutter für ihre Taten büßen muss.
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