Beschreibung
Mit über 50 Jahren war Anton Jungwirth an einem absoluten Nullpunkt angelangt. Alles hatte er verloren: seine gut dotierte Stellung in der Zuckerfabrik, seine wunderschöne Ehefrau, gar die Kinder waren Ihm genommen worden. Nun saß er sogar in diesem furchtbaren Lager für Kriegsverbrecher ein. Doch Anton erinnerte sich an seine Buntstifte, die ihm noch geblieben waren. Mit ihnen hatte er Kreuz-ottern und Pferde gemalt, Portraits von Familienmitgliedern angefertigt, sowie traumhafte Gedichte über seine Heimat, den Böhmerwald verfasst. Werden sie ihm in dieser misslichen Lage helfen können? Mit diesem lebendigen Roman zeichnet Guido Jungwirth ein reiches Panorama des Lebensweges seines Urgroßonkels, des Zeichners und Heimatdichters Anton Jungwirth ("Daffinger des Böhmerwaldes"), dessen Schicksal von der wechselhaften Geschichte des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst wird.
Leseprobe
1. Kapitel - Bylot: Gefangenenlager In tiefer Not greift er zu den Buntstiften und sein zweites Leben als erfolgreicher Kunstmaler beginnt. Er hatte die Buntstifte immer dabei, schon als kleiner Bub im Böhmerwald, wo andere Ski gefahren sind oder mit dem Schlitten die schneebedeckten Hänge herunterstürzten, hatte er nichts anderes im Sinn gehabt, als zu zeichnen und zu malen. Das, was er sah, musste er festhalten, für immer festhalten. "Toni, Toni", hatte seine früh verstorbene Mutter spät am Tag gerufen, um ihn zum kargen Abendmahl zu bitten. Ja, es war wieder spät geworden mit Toni, dem Blatt Papier und den Stiften. Nichts besaß Anton damals im südböhmischen Pernek, nichts außer ein paar alten, von den Brüdern abgetragenen Mänteln, Hemden und Hosen und seine Stifte. Ja, die hatte er schon früh. Und nun, 50 Jahre später, war es wieder so. Er besaß außer seinen Kleidern am Leib nichts anderes als seine geliebten Stifte. Dass es soweit kommen musste, hätte er nie im Leben gedacht. Er war ein gut situierter Buchhalter gewesen, in der Zuckerfabrik im niederösterreichischen Dürnkrut. Ein treusorgender Familienvater mit einer vorzeigbaren Familie, einem erträglichen Einkommen und gesicherten Verhältnissen. Nun stand er, fast über Nacht, vor dem Nichts. Seine Stellung, durch gemeine Taschenspielertricks verloren, seine Frau hatte ihn verlassen in dieser Not, und sie hatte sogar die Kinder mitgenommen. Und darüber hinaus wurde er aufgrund dieser falschen Anschuldigungen, die ihn bereits die Stellung gekostet hatten, in diesem Lager festgehalten. Es war ein Lager ähnlich dieser, wo sie die Juden eingepfercht hatten. Nur hatte es nicht einen Juden, sondern ihn erwischt. Anton Jungwirth schaut sich in der halb verfallenen Baracke um und was er sieht, macht ihn nur noch melancholischer. Als Maler ist er immer auf der Suche nach möglichen Objekten. Aber, was soll er hier schon zeichnen. Kein Vergleich zu der Schönheit des Böhmerwaldes mit seiner fantastischen Pflanzen- und Tierwelt. Wohin er auch blickt, mit seinen freundlichen, dunklen Augen, sieht er nur Elend und Not. Keine bunt fliegenden Schmetterlinge wie im Böhmerwald, keine Kreuzottern, die durch das Gehölz schleichen, keine Moldau mit ihren baumbewachsenen Ufern. Was soll er hier schon zeichnen? Erst jetzt bemerkt Anton, dass ihn ein Stubenkamerad wohl schon seit Längerem anschaut. Er ist erst seit gestern auf der Stube und hat den entlassenen Erwin Skowron ersetzt. Ja, der Skowron, der hat es gut, kann ja auch leidlich Englisch und das wird ihm helfen bei den Amerikanern. Den Neuen, den hat er sich noch gar nicht genau angeschaut beziehungsweise anschauen können, weil er erst spät am Abend zugewiesen wurde und danach die ganze Zeit geschlafen hatte, wie einer der Igel im Winterschlaf, die er auch so gerne im Böhmischen gezeichnet hatte. Der Neue sieht genauso ausgemergelt aus wie alle anderen hier im Lager. Aber irgendetwas, Anton weiß noch nicht was, unterscheidet ihn dann doch beträchtlich von den übrigen Lagerinsassen. Vielleicht ist es die lange, spitz zulaufende Nase, die Anton an einen Adler erinnern, mit einem Zug zum Aristokratischen. Vielleicht ist es die aufrechte formvollendete Haltung, im Gegensatz zu den gekrümmten Rücken der anderen Lagerbewohner, die nur darauf warten, weitere Prügel zu beziehen, um noch krummer zu werden. "Ja, der ist nicht wie die Anderen", denkt sich Anton, als das Adlergesicht ihn unvermittelt anspricht. "Ich muss mich sehr bei Ihnen entschuldigen, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, mich Ihnen vorzustellen. Gestatten, Dylof, Dr. Erwin Dylof", spricht der Hagere mit einem für diese Gefilde selten hörbaren Dialekt. "Jungwirth, Anton Jungwirth", stellt er sich vor, begleitet von einer tiefen, höflichen Verbeugung. "Angenehm", erwidert Dylof, "was hat Sie denn hierhin verschlagen?" Anton ist gefesselt von der Art und Weise, wie der Andere die Buchstaben verzieht. Aber noch mehr zieht ihn in dieses Gesicht in Bann, der Maler wird