Autorenportrait
Marchesa Colombi ist das Pseudonym der italienischen Schriftstellerin Maria Antonietta Torriani (1840-1920), die Lehrerin war, bevor sie sich mit Soziologie und Feminismus beschäftigte und zu schreiben begann. In der Mailänder Gesellschaft des späten Ottocento eine Berühmtheit, war sie nach ihrem Tod lange in Vergessenheit geraten.
Leseprobe
Aus der Einführung von Natalia Ginzburg Diesen Roman las ich vor sehr langer Zeit. Meine Mutter entdeckte ihn zufällig an einem Stand mit alten Büchern. Sie wollte ihn mir schenken, weil ich oft jammerte, ich hätte nichts zu lesen. Das Exemplar, das sie erwarb, war in dunkelblaues Packpapier eingeschlagen, auf dem der Name der Autorin sowie der Titel in Tinte geschrieben standen, in kantiger, krummer, schwankender Schrift. Ich war damals etwa sieben Jahre alt. (.) Zwischen meinem siebenten und vierzehnten Lebensjahr las ich den Roman immer und immer wieder. (.) Ich fand ihn nicht einmal besonders schön und las ihn heimlich, weil man mir vorwarf, ich wäre faul und würde immerzu die gleichen Bücher lesen, dabei kannte ich ihn in bis ins letzte Detail und wusste ihn satzweise auswendig. (.) Irgendwann ging das Buch verloren. Ich las andere Bücher, die ich sehr mochte, und während ich heranwuchs, wuchs meine rigorose Abscheu gegenüber allem, was hinter mir lag. (.) Erst viel später hielt ich 'Ein Bräutigam fürs Leben' erneut in Händen. In der Zwischenzeit war ich erwachsen geworden. Als ich es nun wieder las, stieß ich in jedem Wort auf meine Kindheit. Außerdem fiel mir auf, dass ich, wenn ich daran gedacht hatte, eigene Romane zu schreiben, diese ziemlich oft in ein winterliches Licht getaucht hatte, dass ich immer gehofft hatte, den Schauplätzen und Figuren die gleichen bitterfrohen Züge zu verleihen, wie ich sie hier vorfand. Ohne mir dessen bewusst zu sein hatte ich diesen Roman immer im Gedächtnis behalten, ihm aber irgendwann keinerlei bewusste Aufmerksamkeit mehr geschenkt. (.) Ich glaube für jeden von uns gibt es im Leben so ein Buch, das wir als Kinder nicht nur gelesen, sondern wie ein Zimmer erkundet und bis in den letzten Winkel durchstöbert haben. Ein solches Buch, das wir erkundet haben wie ein Zimmer, in dem wir geforscht haben wie in einem Gesicht, in allen Zügen, in jeder Falte, können wir nicht mehr beurteilen wie andere Bücher, weil es für uns aus dem Reich der Literatur herausgetreten ist, um in unserer Erinnerung und in unserem Herzen zu leben.