Beschreibung
Emser Eck, Berlin-Neukölln, Dienstagabend. Heiko, Katharina und Sebastian treffen sich, wie schon seit Langem, auf ein Glas Bier. Alle sind Mitte 30, Hartz IV-Empfänger, doch bei jedem hängt zu Hause ein Magister- oder Promotionsabschluss an der Wand und sie sind zutiefst deprimiert. Denn wer in diese Hartz-IV-Kneipe kommt, interessiert sich weder für das Wetter noch für den Wechsel der Jahreszeiten, sondern scheinbar nur noch für das Versaufen der Zeit. Am Anfang sollte das noch ein Scherz sein, eine Art Milieustudie mit Alkoholgenuss: Mal sehen, ob es bei diesen Leuten da unten wirklich so zugeht, wie man hört. Und heute gehören sie fast schon dazu. Was machen Arbeitslose, wenn der Markt keine passende Arbeit für sie bietet? Wie werden sie von den Behörden behandelt? Welche Gedanken beschäftigen sie und vor allem: Welche Wünsche können Wirklichkeit werden? Thomas Pregel dokumentiert die Arbeitsmarkt-Erfahrungen seiner Protagonisten und lässt tief in den Hart-IV-Alltag der drei Akademiker blicken. Durch Tagebucheinträge sowie scharfe Beobachtungen des Amtsapparats und der ans Absurde grenzenden Bürokratie-Falle wird der Wert des Menschen hinterfragt. Diese Hartznovelle ist eine sarkastische Darstellung unserer schnelllebigen und sensationshungrigen Gesellschaft.
Autorenportrait
Thomas Pregel wurde 1977 in Bad Segeberg, Schleswig-Holstein geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Holstein auf. Nach Abitur und Zivildienst ging er zum Studium nach Berlin, wo er auch heute als freier Lektor und Schriftsteller lebt. www.thomaspregel.de Veröffentlichungen im Größenwahn Verlag: >Die unsicherste aller Tageszeiten<, Roman, September 2013 >Liebe und andere Schmerzen - 16 Herzschläge<, Anthologie, vertreten mit der Kurzgeschichte >Dampfbadlotterie<, Juni 2013 >Gleich, Liebes, gleich ist das Essen fertig.< Anthologie, vertreten mit der Kurzgeschichte >Der Zwieback-Trick<, Juli 2014.
Leseprobe
Sie trafen sich eigentlich nur noch im Emser Eck, einmal pro Woche, in der Regel am Dienstagabend und ohne dass sie sich vorher dazu noch verabreden mussten. Sie, das waren Heiko, Katharina und Sebastian. Oder genauer gesagt: Dr. Heiko Rüdesheimer, 36, Dr. Katharina Breitenbach, 35, und Sebastian Podbielski, ebenfalls 35 Jahre alt. Die beiden hatten ihren Doktortitel in Geschichte erworben, Sebastian immerhin seinen Magister Artium in demselben Fach gemacht. Am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin hatten sie sich im Verlauf des Grundstudiums kennengelernt und angefreundet. Heiko und Sebastian waren sich bereits während der einführenden Orientierungswoche begegnet und hatten von da an diverse Seminare zusammen belegt, Referate gehalten und sich auch manches Mal gegenseitig bei den Hausarbeiten unterstützt. Katharina war im dritten Semester zu ihnen gestoßen, nachdem sie erst ein Jahr lang in München studiert hatte. Sie war eine alte Schulfreundin Heikos, und er hatte sie, die sich in der bayerischen Landeshauptstadt einsam und fehl am Platze fühlte, nach Berlin gelotst. Auch sie und Sebastian mochten sich auf Anhieb. Ihre Freundschaft entwickelte sich so gut, dass sie die individuelle Spezialisierung im Hauptstudium aushielt, als sich Heiko ganz auf die historische Erforschung besonders des kapitalistischen Wirtschaftssystems konzentrierte, Katharina mit ihrer Faszination für den Nahen Osten sich für Israel und Israelpolitik entschied und Sebastian sogar an die Technische Universität wechselte, um dort den Antisemitismus auf das Genaueste zu durchleuchten, wobei ihn der der politischen Linken besonders interessierte. Heiko und Katharina kamen gut durch und be-endeten ihr Studium beinahe zeitgleich. Sebastians Abschluss verzögerte sich, weil erst einer seiner Prüfer plötzlich verstarb und dann auch noch bei seinen Abschlussprüfungen eine Klausur, die er nachweislich geschrieben hatte, auf einmal nicht mehr auffindbar war. Der gesamte Ablauf geriet ins Stocken, sodass er erst über ein Jahr nach dem anvisierten Zeitpunkt ins Ziel kam. Heiko und Katharina hatten sich da längst erfolgreich um Doktorandenstipendien bei einer gewerkschaftsnahen Stiftung beworben, und sie versuchten auch, Sebastian zu diesem Schritt zu überreden. Nach dem zähen Ringen um seinen Magistertitel wollte er sich aber nicht schon wieder mit Formularen und Anträgen beschäftigen und überhaupt nur seinen Doktor machen, wenn er eine Doktorandenstelle an der Universität bekäme. Er wollte nicht mehr einfach nur studieren und eine weitere theoretische Arbeit verfassen, nein, er wollte das mit konkreter, praktischer Arbeit verbinden, um so später auf dem Arbeitsmarkt eine größere Chance zu haben. Der Plan ging nicht auf, und die nächsten Jahre wechselten sich bei ihm üble Callcenter-Jobs mit Phasen der Arbeitslosigkeit ab, während er zunehmend verzweifelt darum bemüht war, eine Beschäftigung zu erlangen, die sowohl seinem Bildungsstand entsprach als auch angemessen bezahlt war. Auch dieser Plan schlug immer wieder fehl. Nachdem dann aber auch Heiko und Katharina ihr Stipendium erfolgreich abgeschlossen hatten, standen sie noch schlechter da als jemals zuvor. Beide bezogen sie Hartz IV, Heiko immerhin nur als Aufstocker, weil er zumindest wieder Teilzeit im Callcenter arbeitete. Katharina war gänzlich arbeitslos und daher ohne jeden Schutz vor den Unbilden des ALG II-Systems. Heiko schrieb kaum noch Bewerbungen, Katharina musste im Schnitt alle vier Wochen bei ihrer persönlichen Kundenberaterin antanzen und den nächsten Schwall fruchtloser Bewerbungen im gesamten Bundesgebiet vorzeigen. Alle drei waren sie zutiefst deprimiert.
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