Beschreibung
Mit der Schließung des Ruhrkessels im April 1945 kam der Zweite Weltkrieg als ein alles verheerender Sturm nach Mitteldeutschland. Der Autor schildert in vielen Geschichten und aus persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen den letzten Kriegsmonat im Kampfgebiet zwischen Paderborn und dem Harz bis zur Kapitulation des Generalstabes der 11. Armee in Kloster Michaelstein/Harz. Er bleibt dabei dicht am Geschehen und berichtet aus Sicht der deutschen Landser vom Irrwitz der Verteidigungsanstrengungen, vom Leiden der Zivilbevölkerung zwischen Fliegeralarm und Durchhalteparolen wie auch aus der Perspektive amerikanischer GIs im Rag-Tag-Circus. Eingefügt sind Exkurse zu unabgehandelten Themen wie den mutigen Männern mit den weißen Übergabefahnen, die versuchten, weiteres Leid zu verhindern.
Leseprobe
In 2000 Jahren gewachsen, in 20 Tagen untergegangen: Ein Orkan fegt von Westen kommend über deutsche Lande. Kein gewöhnlicher Orkan. Dieser Sturm war anders als alle Stürme je zuvor. Radikal veränderte er das Leben der Deutschen. Diese Veränderungen halten bis heute an. Krieg auf deutschem Boden? Krieg in meinem Ort? Ja, doch doch, da war mal was. Gehört hab ich das schon mal, aber Genaues kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ist ja so lange her. Solcherart Auskünfte auf Nachfragen zu bekommen ist beinahe normal geworden. Kopfschüttelnd stellt der Geschichtsinteressierte fest, daß die Varusschlacht, Wallensteins Kriegszüge im Dreißigjährigen Krieg oder Napoleons Feldzüge, um nur einige kämpferische Auseinandersetzungen in der Heimat zu erwähnen, gut erforscht und rekonstruierbar sind. Dagegen sind Darstellungen eines Sujets aus einer nur siebzig Jahre zurückliegenden Zeit heute meist wenig überzeugend; sie sind milde gesagt, verwaschen und verwackelt. Die Spanne eines menschlichen Lebens reichte offensichtlich aus, um solch ein einschneidendes Ereignis wie das Hinweggehen einer wütigen Kriegsfurie über uralte Kulturlandschaften vergessen zu machen. Wer es genauer als gewisse History- Kanäle wissen möchte, den lade ich zur Auseinandersetzung mit Geschehnissen und Protagonisten in diesem so ereignisreichen Frühjahr des Jahres 1945 ein. Von Leid und Verlust, von Verletzten und Toten, Generälen und einfachen Landsern, zerbombten Städten, zerschossenen Eisenbahnen, schwer leidenden Menschen, die trotz allem das Zusammenleben organisieren konnten - davon erzählt dieses Buch. Genauigkeit und Präzision zum Thema lassen sich natürlich auch in Archiven finden. Dort, hinter meterdicken Aktenbergen und mit dem Staub der Jahrzehnte überzogen, lagern die Akten und Berichte der Kriegsmaschinerie von damals. Bis auf die allerletzten Kriegswochen ist mit deutscher und alliierter Gründlichkeit alles erfaßt worden, von der größten Panzerschlacht bis zum Verbrauch von Stempelfarbe. Mit militärischer Gründlichkeit wurde jeder Vorgang schriftlich niedergelegt. Es gibt die Kriegstagebücher, G-2-Journale und After Actions Reports und vieles andere mehr. Darin aber steckt kein Leben. Wer wissen möchte, welche Auswirkungen die militärischen Entscheidungen hatten, sei es auf die kämpfenden Einheiten selbst oder die Zivilbevölkerung oder aber auf die deutschen Lande, der muß sich im Volk umhören. Muß vor allem auf dem Lande nachforschen, in den Dörfern, wo die Bevölkerung seßhafter ist als in den großen Städten. Dort, wo mündliche Überlieferungen noch tradiert werden. Wer jedoch Berichte von Kämpfern hören möchte, der kommt inzwischen zu spät. Glücklicherweise existieren dennoch hier und da Berichte der einstmals kämpfenden Soldaten. Trotzdem läßt sich vieles nun heute nicht mehr aufklären. Selbst die Berichte noch lebender Zeitzeugen sind mit größter Vorsicht zu behandeln, waren die heute 80-jährigen doch damals kleine Kinder. Deren Zeitzeugenschaft beschränkt sich zumeist auf Kindheitserinnerungen, vielfach wird vorwiegend das weitergegeben, was von den damals Erwachsenen erfahrbar war. Für den historisch interessierten Bürger der Gegenwart kommt ein weiteres Problem bei der Betrachtung dieser Zeitepoche hinzu. Durch die politische Indoktrination in der DDR sowie eine heute insgesamt völlig gewandelte gesamtdeutsche Betrachtungsweise dieses Abschnittes der deutschen Geschichte werden gegenwärtig Neubewertungen der damaligen Ereignisse vorgenommen. Jede Zeitepoche hat eben ihre eigene Sicht auf die Geschichte! Auffallend ist jedoch der Zeitpunkt. Die veränderte Sichtweise fällt mit dem Abtreten der Weltkriegsgeneration zusammen. Es war eine schlimme Zeit im Frühjahr 1945, und die Nachgeborenen können sich das, was damals passierte, wahrscheinlich auch mit viel Fantasie gar nicht recht vorstellen. Zumal viele Geschehnisse überhaupt nicht überliefert wurden. Die Deutschen, die das alles unmittelbar miterlebten, hatten nach dem Krieg wenig Interesse an der Darstellung der Ereignisse des Zusammenbruchs. Dafür hatten sie ihre Gründe. Verschämtes Schweigen, weil man verloren hatte? Eventuell war man mitschuldig an Greueltaten? Oder wollte man alles schnell hinter sich lassen und mit optimistischem Blick nach vorn neu beginnen? Erst sehr viel später wurden diese bewegten Zeiten in Worte gegossen. Wenn in der Gegenwart aber über den nun schon 70 Jahre zurückliegenden Krieg gesprochen wird, dann ist der Zusammenbruch der Westverteidigung für viele Nachgeborene kein Thema mehr. Steht ja alles im Geschichtsbuch! Außerdem: Die Deutschen waren ja selbst schuld! Dieser Teil der Geschichte Deutschlands wird für gewöhnlich auch in den Medien lapidar abgehandelt. Kurz gefaßt hören oder lesen wir: Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg endlich zu Ende, das Großdeutsche Reich untergegangen und das Reichsgebiet in Zonen zerstückelt; einige Gebiete sind ganz herausgelöst worden. Wenig später bildeten sich zwei deutsche Staaten und der Wiederaufbau setzte ein. Das ist nicht falsch und doch wird es der historischen Wirklichkeit nicht gerecht. Die Wirklichkeit damals, das war der unmittelbare Krieg auf urdeutschem Land, mitten im Herzen Deutschlands. Die Kriegsfurie, die über das Land rollte, verschonte nichts und niemanden. Seit Menschengedenken hatte mitten in Deutschland kein Krieg mehr stattgefunden. Die letzten Kriegsereignisse waren der 30-jährige Krieg, der Siebenjährige Krieg sowie die Feldzüge von Kaiser Napoleon. Deswegen ist das Kriegsende in Deutschland und - im Rahmen dieses Buches - besonders der Zusammenbruch der Westverteidigung von besonderem historischen Interesse. Die alliierte Forderung nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation stand unerbittlich als Kriegsziel fest. Ebenso unerbittlich hielt Hitler als oberster Befehlshaber der deutschen Wehrmacht am Verbot jedweder Verhandlung oder gar Kapitulation von Wehrmachts- oder Waffen-SS-Einheiten fest. Die Alliierten waren gezwungen, Meter für Meter deutschen Boden zu erkämpfen und besetzt zu halten. Im Gegensatz zu früheren Kriegen, bei denen man die Inbesitznahme der feindlichen Hauptstadt anstrebte, um dergestalt den Kampf schnell zu beenden, wurde diesmal geradezu verbissen um jedes noch so kleine Geländestück gerungen. Dadurch war es unausbleiblich, daß so gut wie jede Stadt, jedes Dorf zum Kampfgebiet wurde, wenn nicht gelegentlich beherzte Männer unter Einsatz ihres Lebens zur Stelle waren und Orte kampflos übergaben. So wie bislang nur wenige, zumeist regional orientierte Publikationen zu diesen Kämpfen ab Weser und Leine bis hinein und hinauf in den Harz existieren, so ist auch die Geschichte der kampflosen Übergaben kaum dargestellt worden. Auch fällt auf, das den meisten mutigen Männern die Würdigung für ihre außerordentliche Tat durch ihre Gemeinde verwehrt blieb, sieht man von einigen ehrenhaften Ausnahmen ab. Mittlerweile ist ein Menschenleben seit dem Ende des mörderischen Krieges vergangen. Zeitzeugen gibt es heute so gut wie gar nicht mehr. Und doch sind die Ereignisse noch lebendig, da faktisch jede Familie betroffen war. Sie wurden jedoch, wenn überhaupt, nur mündlich weitergegeben. Kaum jemand hat seinerzeit Aufzeichnungen gefertigt; der verbissene Kampf um die eigene physische Existenz forderte gebieterisch alle Kräfte. Die Bevölkerung begann umgehend, nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte, mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser und der Infrastruktur. Heroisches wurde geleistet, es wurde geschuftet und geliebt, und wieder hat es kaum einer aufgeschrieben. Zeit zum Reflektieren, gar zum Jammern gab es nicht! Wer hätte dem auch zuhören wollen; trugen doch alle eine ähnliche Sorgenlast. Dann kamen bald die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, so daß schließlich eine Durchmischung der Alteingesessenen mit den Neubürgern stattfand. Die freilich kannten die örtlichen Kampfhandlungen nur vom Hö...