Beschreibung
Oft wird bei Stottern die Chance zu einer Frühtherapie verpasst. Bislang existiert kein breit angewendetes Screening (Siebtest)-Verfahren zur frühen Erkennung kindlichen Stotterns, die bisherigen Verfahren werden lediglich bei bereits vorhandenem Verdacht auf Stottern angewendet. Das häufige Vorkommen von Stottern im Kindesalter rechtfertigt jedoch eine Überprüfung aller Kinder im Vorschulalter. Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. (BVSS) hat die Entwicklung eines flächendeckend anwendbaren Screening-Verfahrens in Auftrag gegeben. Nach Abschluss des dreijährigen Projektes, in dem insgesamt 806 Kinder im Alter von vier bis viereinhalb Jahren sowie 776 Kindern im Alter von fünf bis sieben Jahren untersucht wurden, ist nun erstmalig ein Siebtest für Stottern verfügbar, der flächendeckend und regulär bei Schuleingangsuntersuchungen und noch sinnvoller bei den U8/U9-Untersuchungen eingesetzt werden kann. Der Fragebogen für Ärzte (BASS) ist beigefügt.
Autorenportrait
Prof. Dr. Katrin Neumann, ist Fachärztin für Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen. Sie arbeitet als Leitende Ärztin der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, des Hörkompetenzzentrums und des CI-Zentrums Ruhrgebiet am St. Elisabeth-Hospital der Ruhr-Universität Bochum. Nach ihrem Studium der Humanmedizin an der Karl-Marx-Universität in Leipzig bildete sie sich weiter zur Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Phoniatrie und Pädaudiologie im Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. neurowissenschaftliche Untersuchung von Hör-, Stimm- und Sprachprozessen und Therapieverfahren beim Stottern und Validierung von Hör- und Sprachtests bei Kindern. In der WHO setzt sie sich für hörgeschädigte Kinder in Entwicklungsländern ein und berät den Gemeinsamen Bundesausschuss zu frühkindlichen Hör- und Sprachstörungen. Prof. Dr. Harald A. Euler, geboren 1943, ist Evolutionspsychologe und Professor im Ruhestand. Er studierte Psychologie in Bonn und in Washington, USA. Den Ph. D. erwarb er 1972. Euler war seit 1974 Professor für Lernpsychologie an der Universität Kassel. Seine Arbeitsgebiete sind Evolutionäre Psychologie, insbesondere von Familienbeziehungen und Geschlechterunterschieden, Emotionspsychologie, Aggressionsforschung und Stotterforschung. In den Medien tritt er häufig als Experte zu evolutionspsychologischen Themen auf. Derzeit ist er Gastwissenschaftler an der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Universität Bochum sowie an der Abteilung für Entwicklungspsychologie der Universität Wien. Peter Schneider, geboren 1958, arbeitet als Lehrlogopäde (dbl) an der Schule für Logopädie am Uniklinikum Aachen. Nach seinem Studium als Grund- und Hauptschullehrer absolvierte er eine Ausbildung zum Logopäden und bildete sich unter anderem in klientenzentrierter Spieltherapie und Transaktionsanalyse fort. Neben Veröffentlichungen zum Thema Stottern und Elternbeteiligung ist er Autor mehrerer Kinderbücher. Zusammen mit Patricia Sandrieser hat er den Therapieansatz "Direkte Therapie mit stotternden Kindern" (KIDS, Mini-KIDS, Schul-KIDS) entwickelt und das Buch "Stottern im Kindesalter" geschrieben.
Leseprobe
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, sehr geehrte Damen und Herren, Stottert das vor Ihnen sitzende Kind? Stottern verunsichert alle und beschämt viele Beteiligte. 1 2 Unerkanntes und unbehandeltes Stottern bleibt nicht selten in der Schule versteckt, wird fehlinterpretiert als Schüchternheit, Verstocktheit oder gar Dummheit des Kindes 3 und führt letztendlich zu Einschränkungen in der Entwicklung des Kindes. 4 5 Für viele stotternde Kinder und Jugendliche ist die Schulzeit eine schwere Zeit, 6 7 Stottern ist uncool und in Vermeidungs- und Versteckverhalten wird viel verlorene Energie investiert. 8 Ziel des vorliegenden Fragebogens ist es, Ihre diagnostische Sicherheit in Bezug auf Stottern zu verbessern. Dieser Arztfragebogen ist das einzige Diagnostikinstrument, das sich in einer aufwändigen deutschen Früherkennungsuntersuchung an über 1 600 Kindern als valide erwiesen hat und den ebenfalls untersuchten Elternfragebögen und Kinderfragebögen klar überlegen war. Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe hat diese Untersuchung in Auftrag gegeben, um eine validierte Frühdiagnostik des Stotterns zu ermöglichen und somit den Boden zu bereiten für gezielte, frühere Therapie. Wir ermutigen sie daher zur Verwendung dieses Fragebogens. Wir erhoffen uns davon eine gezieltere Indikationsstellung für logopädisch fachliche Diagnostik, und im Falle der logopädischen Bestätigung der Diagnose eine frühere, bedarfsgerechtere und gezieltere logopädische Therapie. Ist der zusätzliche Aufwand gerechtfertigt? Neuere Daten 9 - 11 weisen auch im deutschen Sprachraum 12 darauf hin, dass frühe Stottertherapie die Prognose verbessert und der Chronifizierung vorbeugt. Als Interessenvertretung stotternder Menschen freuen wir uns über Ihr Interesse an unserer Studie und hoffen auf Ihre Bereitschaft und Initiative, sich an der Früherkennung des Stotterns zu beteiligen. Mit unserem breiten Informations- und Beratungsangebot zum Thema Stottern auf www.bvss.de unterstützen wir Sie gerne in Ihrem Engagement für Ihre kleinen Patienten und deren Eltern. Darüber hinaus kann das gemeinsame Lernen stotternder und nicht stotternder Kinder in der inklusiven Schule nur dann gelingen, wenn die besonderen Bedürfnisse stotternder Kinder rechtzeitig wahrgenommen werden. 13 Mit herzlichem Dank für Ihr Interesse und freundlichen, kollegialen Grüßen Prof. Dr. med. Martin Sommer