Kabbala im Traumleben des Menschen

16,95 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Nicht lieferbar

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783896314482
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Format (T/L/B): 3.3 x 19 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Michael Ende zählte Kabbala im Traumleben des Menschen zu seinen Lieblingsbüchern. Der jüdische Gelehrte und Schriftsteller Weinreb stammte aus Galizien und ist der Begründer der modernen Kabbala-Bewegung. Sein Buch über die Traumdeutung nach dem Alten und dem Neuen Testament inspirierte zahlreiche Schriftsteller und Künstler und hat sich seit seinem ersten Erscheinen zu einem Standardwerk der Kabbala- und der Traumliteratur entwickelt.

Leseprobe

Eine Stimme, die spricht, lebt in den Ohren der Hörer. Und wenn sie gut aufgenommen wird, überlebt sie ihre akustische Flüchtigkeit, wird vielleicht sogar mitbestimmend im Leben des Hörers. Der innige Zusammenhang von Mund des Sprechenden und Ohr des Hörenden schafft den Raum für eine ganz unvergleichliche Freiheit und Beweglichkeit der Ausdrucksweise, der eine ebenso unvergleichliche Freiheit und Beweglichkeit des Verstehens entspricht.
Was Friedrich Weinreb vor einer kleinen Zuhörerschaft über das Träumen und Wachsein erzählte, ohne Manuskript oder sonstige schriftliche Gedächtnisstütze, also ganz Stimme - und ganz Ohr die Anwesenden -, liegt hier als eine 'Übersetzung' in die Lesewelt vor, als Buch. Mitübersetzt hat sich die Hoffnung, daß hie und da ein schöpferischer Leser die Melodie der 'Ursprache' vernimmt. Jedenfalls ging es beim Übersetzen auch immer darum, den Text als eine Art Partitur zu fassen. Beim Aufschreiben wurde ich wieder ganz Ohr, und so könnte es, glaube ich, auch dem Leser gehen.
Ein Kapitel im Buch entspricht im allgemeinen einer Vortragseinheit von zwei Dreiviertelstunden, zwischen denen es eine Pause von etwa zwanzig Minuten gab. In der Regel wöchentlich, einem Semester-Rhythmus folgend, traf man sich am Abend im Klassenzimmer einer Schule. Erst das Erzählen, sagte Weinreb oft, mache ihn richtig wach und frisch; es sei eben seine besondere Art der Erholung. Und: Was wäre er ohne das Schweigen, die Geduld, die Aufmerksamkeit, die Erwartung und das Miterleben seiner Zuhörer; ihr Anteil am Zustandekommen seines Erzählens könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Nichts lag ferner als die Befürchtung, daß ihm vielleicht einmal der Stoff ausgehen könnte. Vielmehr war es der ständige Überfluß, der die Fassungskraft seiner Zuhörer sehr oft überstieg. Auch jetzt, wo man es schwarz auf weiß nach Hause tragen kann, hat sich daran nichts geändert. Zwischen den Sätzen ballt sich oft eine so überwältigende Lebensfülle, daß man manchmal über wenige Seiten am Tag nicht hinauskommt.

Im Ausdruck 'mit traumwandlerischer Sicherheit' zeigt sich, daß Sicherheit und Gewißheit in der Sprache selbst dem Traum zugeschrieben werden. Wenn wir Sicherheitssysteme konstruieren, erweitern wir damit zugleich das Gebiet der Unsicherheiten, denn wir bewegen uns dann im rechnerischen Bereich.
Von der rechnerischen Seite her ist zum Beispiel 1+3 = 4. Eindeutig und nützlich, darauf kann man bauen.
Von der Traum-Seite aus erlebt, ergibt sich für die Behauptung 1+3 = 10 ein Widerspruch zur rechnerischen Seite; gleichzeitig eröffnet sie eine ganz neue Vielschichtigkeit der Zahlen. Denn worin erhält sich die 4, was macht sie zur 4, was baut sie auf? Muß nicht die 1 zur 2, die 2 zur 3 und die 3 zur 4 kommen, bis die 4 bestehen kann? Hinge die 4 nicht in der Luft, ohne die Basis ihrer Schichten? Die Geschichte der 4 zählt, erzählt also: 1+2 + 3 + 4 = 10.
Unmerklich fast ist aus dem Zählen hier ein Erzählen geworden. Die Zahlen, die Worte, sind dieselben; aber jetzt sind sie durchgebrochen in eine Welt, wo sie zu sprechen beginnen, ihr Inneres öffnen, ihr Leben mitteilen. Die starre Maske der Außenseite ist abgenommen, das Gesicht, das sich zeigt, verspricht Einsicht.
Kabbala hat wenig mit Zahlen, sehr viel aber mit dem Erzählen zu tun. Im Erzählen werden wir durch immer neue Schichten des Lebens geführt. Überraschende Ausblicke eröffnen sich, wo eben noch alles auswegslos schien, in immer neue Tiefen und Weiten geht die Reise. Ein Ende ist nie in Sicht. Wenn der Erzähler abbricht, arbeitet sich die Geschichte im Hörer oder Leser weiter voran. In der Traumseite des Lebens sind Geben und Nehmen, Überliefern und Empfangen - und das ist die wörtliche Bedeutung von Kabbala -, zwei Seiten desselben.
Entscheidend aber ist, daß die Verbindung zur Traumseite unseres Lebens besteht, zumindest ersehnt wird.
Was führt die Unterbrechung herbei? Warum wissen wir uns ke ... Leseprobe