Beschreibung
Während der 1908 beschlossene Ausgleich in der Bukowina, dem östlichsten Kronland der k.u.k. Monarchie, als Musterbeispiel ausgleichender Nationalitäten-Politik gewisse Bekanntheit erlangt hat, wurden seine tatsächlichen Auswirkungen auf die lokale Politik in der historischen Literatur bisher kaum behandelt. Nach wie vor gilt die politische Atmosphäre in diesem Land als entspannt, ja geradezu idyllisch, das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen (Rumänen, Ukrainer, Deutsche, Juden und Polen) als vorbildlich.Dieses Buch blickt hinter die Klischees und arbeitet anhand umfangreichen Quellenstudiums die tatsächlichen Ereignisse und politischen Prozesse der letzten Jahre der kaiserlichen Bukowina auf, wobei sich ein anderes Bild zeigt: Während die Ausgleichsgesetze selber bei ihrer Praxiserprobung erhebliche legistische Mängel zeigten, erwies sich auch die tagespolitische Auseinandersetzung als spannungsgeladen, und war trotz des Ausgleichs geprägt von teils klar entlang der nationalen Trennlinien verlaufenden Konflikten. In dieser Studie wird ein spannendes historisches Kapitel des österreichischen Vielvölkerstaates wieder zum Leben erweckt, das immer noch große Aktualität besitzt.
Autorenportrait
Thomas Hensellek wurde 1974 in Wien geboren. Er studierte Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Wien, wo er 1993 seinen Abschluss mit Auszeichnung machte. Während seiner Studienzeit engagierte er sich über mehrere Jahre politisch in der Österreichischen Hochschülerschaft. Ebenfalls schon während des Studiums folgte der Berufseinstieg bei Boston Consulting in Wien (BCG). Der weitere berufliche Werdegang erfolgte mit dem Schwerpunkt Konsumgüter-Marketing in internationalen Unternehmen wie Nestlé, Magna und derzeit bei der iglo Foods Group in London. In der vorliegenden Studie über die Bukowiner Landespolitik verbinden sich historisches, politisches und wirtschaftliches Interesse des Autors ideal.
Leseprobe
Textprobe:Kapitel 3, 1911: Das Superwahl(halb)jahr:Das Jahr 1911 wird in der Geschichte der Bukowina das Jahr der Wahlen genannt werden. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.3.1, Czernowitzer Gemeinderatswahlen:Und es ist geradezu lächerlich, wenn auch nur die Erwägung in Diskussion gezogen wird, als ob den Christlichsozialen im Inneren der Stadt in welcher Form und aus welchem Wahlkörper immer Mandate eingeräumt werden könnten. In diesem Punkt verstehen wir keine Scherze. Czernowitzer Tagblatt.Um den Jahreswechsel 1910/11 fing der Wahlkampf für die Gemeinderats-Ergänzungswahlen an. Die Deutschnationalen und Christlichsozialen hatten ein enges Bündnis geschlossen, das eben von den Wiener Reichsparteileitungen ratifiziert worden war. Die Juden waren durch ihr Vorgehen während der Schaueraffäre etwas isoliert. Die Ruthenen und Polen befanden sich nun in einem engen Bündnis. Warum, ist nicht ohne weiteres klar. Auch die Position der Rumänen ist schwer einzuschätzen.Etwas Licht in die Verhältnisse bringt eine Veröffentlichung Aurel Onciuls in der Wahrheit nach Ende der Wahlen. Darin beschreibt er die ursprüngliche Absicht, die Provisionsaffäre zum Brechen des deutsch-jüdischen Widerstandes gegen eine neue Gemeindewahlordnung zu instrumentalisieren und eine Auflösung des Gremiums zu erwirken. Als Innenminister Haerdtl aber erklärte, das neue Gesetz werde bei einer Vakanz des Gemeinderates niemals die Sanktion erhalten, um nicht den Eindruck eines Oktroys zu vermitteln, änderten die Rumänen ihre Position. Aus ihm unverständlichen Gründen blieben die Ruthenen und Polen aber bei ihrer Linie und näherten sich einander stark an. Die Rumänen suchten nun über die ihnen nahestehenden Christlichsozialen Anschluss an die Deutschen und damit auch an die Juden.Wieso aber hatten die Rumänen Interesse an einer Annäherung an die Deutschen und Juden und warum stichelte die Allgemeine ständig wegen eines angeblichen jüdisch-christlichsozialen Bündnisses? Die Antwort liegt im System des Wahlkartells, wahlweise auch System Straucher oder einfach nur System genannt. Es funktionierte so, dass sich Deutsche und Juden zusammenschlossen und eine gemeinsame Liste erstellten. Beide Teile nominierten ihre eigenen Kandidaten, ohne dass der Partner Einspruch erheben durfte. Um das System abzusichern, wurden eventuell auch andere Parteien eingeladen, Kandidaten in der ihnen erfahrungsgemäß zukommenden Zahl zu nennen und in die offizielle Liste einzubringen. Diese Listen wurden dann vorgedruckt an die Wähler verteilt, die sie möglichst unverändert am Wahltag einwerfen sollten. Natürlich konnten aber die Wähler Streichungen oder Überpickungen mit anderen Kandidatennamen vornehmen. Viele ungestrichene Wahlzettel wurden daher als Erfolg der Offiziellen qualifiziert. Der Sinn des Systems war es, oppositionelle Kandidaten von vornherein auszuschließen und sich die Kandidaten auch nicht von Wählerversammlungen absegnen lassen zu müssen. Idealerweise sollte es gar keinen Wahlkampf geben bzw. bestand der Wahlkampf in einem ständigen Verhandeln und Feilschen um die offizielle Liste: die Vorbereitungen werden auf rein diplomatischem Wege getroffen konstatierte später das Tagblatt das Funktionieren des Kartells. Das System griff nur in den drei Wahlkörpern des 1. Wahlbezirkes der inneren Stadt da in den Vorstädten eine ganz andere Bevölkerungsstruktur gegeben war: im 3. Wahlbezirk waren 75% der Wähler Rumänen, den 2. machten sich die Deutschen untereinander aus.Die Rumänen trachteten also, über die deutsche Seite in die offizielle Liste aufgenommen zu werden, während die Christlichsozialen mit den Deutschnationalen über die Verteilung ihrer Kandidaten verhandelte, was zumindest die stillschweigende Zustimmung der Juden voraussetzte.Zwischen den beiden deutschen Parteien stand es von Anfang an nicht gut. Gerade eine Woche nachdem die Wiener Parteigranden ihre Unterschrift unter das Abkommen gesetzt hatte, warf das Volksblatt in einem scharfen Artikel Heinrich Kipper vor, in seiner Zeitschrift Freie deutsche Schule konfessionelle Hetzte betrieben und damit gegen das Wahlbündnis verstoßen zu haben. Auch Wenzel Krehan wurde Bruch des Abkommens unterstellt. Die Nachrichten sahen das naturgemäß genau umgekehrt und so lagen sich kaum dass sie gelobt hatten, stets einträchtig vorzugehen die Parteien über ihre Organe wieder in den Haaren. Damit nicht genug meldete sich jetzt der Bürgerausschuss wieder zurück und erklärte am 4. Jänner in einer Wählerversammlung, fürs erste einen provisorischen deutschen Wahlausschuß ins Leben zu rufen, da sich die zwei deutschen Parteien noch nicht herbeigelassen hätten, den beschlossenen Volksrat zu aktivieren. Darüber hinaus müssten die deutschen Kandidaten erstens in einer öffentlichen, allgemein zugänglichen Versammlung aufgestellt werden und dürften zweitens in keinem Dienstverhältnis zur Stadt stehen und auch unter ihren Verwandten keine Gemeindebediensteten haben. Nicht gerade realistische Forderungen besonders die zweite hätte eine große Zahl der deutschen Mandatsinhaber von einer Wiederkandidatur ausgeschlossen -, die bei den Medien aber durchaus Vergnügen hervorriefen. Kogler verstieg sich sogar dazu, den Volksrat als für die Gemeinderatswahlen ungeeignetes Entscheidungsgremium zu charakterisieren, da auch Vertreter der Provinz, die in Czernowitz nicht einmal wahlberechtigt wären, nominiert worden waren und die beiden Parteien an sich für die Hauptstadt nicht repräsentativ seien. Damit stellten sie sich jedenfalls eindeutig gegen das Wahlkartell-System. Die Ruthenen und Polen akzeptierten die Spielregeln zwar, nahmen am Spiel selber aber nicht teil: Sie begnügten sich, unter strenger Wahrung des bisherigen Besitzstandes gemeinsam ihre Kandidaten bekannt zu geben und anzukündigen, dass, sollte auch nur einer der Kandidaten nicht gewählt werden, sie in den Gemeinderat nicht einziehen und alles in ihrer Macht stehende für seine baldige Auflösung tun würden. Und mochten die Ruthenen in Czernowitz auch eine Quantité négligeable darstellen: Da diese Ankündigung von einem gewissen Nikolaj Wassilko ausgesprochen wurde, hatte sie Gewicht und wurde auch ernstgenommen.
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