Für das Menschliche im Menschen

Texte eines Humanisten und Weltbürgers, Autor:innenreihe 7

20,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783737411875
Sprache: Deutsch
Umfang: 368 S.
Format (T/L/B): 3.2 x 20 x 12.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2022
Lesealter: 18-99 J.
Einband: Englische Broschur

Beschreibung

Stefan Zweig war in den 1930er-Jahren der meistgelesene Autor deutscher Sprache, seine Werke gehören heute zum Kanon der deutschsprachigen und europäischen Literatur. Der engagierte Kämpfer für Frieden und Völkerverständigung ist einer der wichtigsten Vordenker der europäischen Einigung. In seinen Sternstunden der Menschheit und den Biographien macht Zweig Geschichte wieder lebendig und spannend. Gekonnt porträtiert er historische Gestalten oder beeindruckende Abenteurer und Weltentdecker, aber er erinnert auch an die Opfer von Unterdrückung und Intoleranz. In den Novellen und Romanen glänzt er dank seines psychologischen Einfühlungsvermögens und der Darstellung von verborgenen Leidenschaften, die unaufhaltsam in die Katastrophe führen. Auch die heute weniger bekannten Gedichte und Dramen waren zu Lebzeiten des Autors äußerst erfolgreich. Zweigs Erinnerungen Die Welt von Gestern schließlich beschreiben eindringlich den einzigartigen intellektuellen und künstlerischen Kosmos am Ende der Habsburgermonarchie - eine Epoche, die mit dem Ersten Weltkrieg und der Verfolgung und Vernichtung ihrer jüdischen Protagonisten unterging.

Autorenportrait

Arturo Larcati ist Direktor des Stefan Zweig Zentrums der Universität Salzburg und Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Verona. Er ist Verfasser und Herausgeber von Monographien und Sammelbänden zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts (Ingeborg Bachmann, Stefan Zweig) und zum Kulturtransfer Italien-Deutschland-Österreich.

Leseprobe

Während dieser acht Jahre der höheren Schule ereignete sich für jeden von uns ein höchst persönliches Faktum: wir wurden aus zehnjährigen Kindern allmählich sechzehnjährige, siebzehnjährige, achtzehnjährige mannbare junge Menschen, und die Natur begann ihre Rechte anzumelden. Dieses Erwachen der Pubertät scheint nun ein durchaus privates Problem, das jeder heranwachsende Mensch auf seine eigene Weise mit sich auszukämpfen hat, und für den ersten Blick keineswegs zu öffentlicher Erörterung geeignet. Für unsere Generation aber wuchs jene Krise über ihre eigentliche Sphäre hinaus. Sie zeitigte zugleich ein Erwachen in einem anderen Sinne, denn sie lehrte uns zum ersten Mal, jene gesellschaftliche Welt, in der wir aufgewachsen waren, und ihre Konventionen mit kritischerem Sinn zu beobachten. Kinder und selbst junge Leute sind im Allgemeinen geneigt, sich zunächst den Gesetzen ihres Milieus respektvoll anzupassen. Aber sie unterwerfen sich den ihnen anbefohlenen Konventionen nur insolange, als sie sehen, dass diese auch von allen andern ehrlich innegehalten werden. Eine einzige Unwahrhaftigkeit bei Lehrern oder Eltern treibt den jungen Menschen unvermeidlich an, seine ganze Umwelt mit misstrauischem und damit schärferem Blick zu betrachten. Und wir brauchten nicht lange, um zu entdecken, dass alle jene Autoritäten, denen wir bisher Vertrauen geschenkt, dass Schule, Familie und die öffentliche Moral in diesem einen Punkte der Sexualität sich merkwürdig unaufrichtig gebärdeten - und sogar mehr noch: dass sie auch von uns in diesem Belange Heimlichkeit und Hinterhältigkeit forderten. Denn man dachte anders über diese Dinge vor dreißig und vierzig Jahren als in unserer heutigen Welt. Vielleicht auf keinem Gebiete des öffentlichen Lebens hat sich durch eine Reihe von Faktoren - die Emanzipation der Frau, die Freudsche Psychoanalyse, den sportlichen Körperkult, die Verselbständigung der Jugend - innerhalb eines einzigen Menschenalters eine so totale Verwandlung vollzogen wie in den Beziehungen der Geschlechter zueinander. Versucht man den Unterschied der bürgerlichen Moral des neunzehnten Jahrhunderts, die im wesentlichen eine victorianische war, gegenüber den heute gültigen, freieren und unbefangeneren Anschauungen zu formulieren, so kommt man der Sachlage vielleicht am nächsten, wenn man sagt, dass jene Epoche dem Problem der Sexualität aus dem Gefühl einer inneren Unsicherheit ängstlich auswich. Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Ausschnitt aus dem Kapitel 'Eros Matutinus'