Beschreibung
Ein Klassiker der Frauenliteratur
Die Spielfrau Beatrix erwacht nach über achthundertjährigem Schlaf in unserer Gegenwart. In der Provence war sie im hohen Mittelalter eingeschlafen, jetzt bekommt sie es mit einer Welt zu tun, in der ihr Schloss einer Schnellstraße Platz machen soll. Sie bringt aber nicht nur diese Entscheidung ins Wanken, auch wie Männer und Frauen zusammenleben und worin das Wesen der Erotik gesehen wird, will ihr nicht einleuchten. Am besten, man würde noch einmal ganz von vorne beginnen ...
Autorenportrait
Irmtraud Morgner wurde am 22. August 1933 in Chemnitz geboren, studierte Germanistik an der Universität Leipzig und arbeitete als Redaktionsassistentin bei der Zeitschrift
"Neue Deutsche Literatur". Seit 1957 war sie freie Schriftstellerin. Die Autorin wurde mit vielen bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Irmtraud Morgner starb am 6. Mai 1990.
Leseprobe
Natürlich ist das Land ein Ort des Wunderbaren. Mir fiel es auf, als mir eine Frau entgegentrat. In meiner Straße. Eines Morgens im April. Die fremde Frau fragte, ob ich Geld hätte. Da ich nüchtern Gesprächen abgeneigt bin, grüßte ich zurück. War auch in Eile, auf dem Weg zum Kindergarten. Die Frau, an deren linker Hand ebenfalls ein Junge zerrte, holte mich ein, nötigte mir mit der rechten Hand ein Paket auf und sagte: »Fünftausend.« Wir starrten einander an. Die Jungen rissen sich los. Ich hörte der Zahl nach. Als sie mir bewußt wurde, versuchte ich, die Last loszuwerden. Aber die Frau wich zurück und grub ihre Hände in die Taschen ihres Mantels. Seine reichliche Weite war gefüllt. Das kurze Kleidungsstück ließ keineswegs Knie sehen, kaum Waden. Obgleich ich allen Grund hatte, der aufdringlichen Frau eine Entschuldigung abzugewinnen, entschuldigte ich mich. Ließ mir von ihren braunen Knopfaugen das Gesicht durchmustern. Duldete, wer weiß, warum, das unverlangte Gewicht. Erst als ich spürte, daß die Paketverschnürung meine Fingerkuppen abgebunden hatte, schickte ich mich an, das Heck eines parkenden Personenwagens als Ablageplatz zu benutzen. »Dreitausend«, sagte die Frau. Dann zog sie ein Zellstofftaschentuch aus der Manteltasche und rieb ihre Augen. Bald die Nase. Meine kitzelte Regenwasser. Es floß vom Scheitel ab. Die Kunstlocken der Frau waren bereits in ein Stadium demoliert, das Wolle einer aufgetrennten braunen Socke vermuten ließ. Drei Schluchzer. Da war mir der Tragschmerz entfallen. Ich wartete ergeben auf wer weiß was. Als das Packpapier durchnäßt und geworfen war, roch ich dran. »Einmalig«, sagte gleich die weinende Frau, »die Gelegenheit, Ihre große Chance, greifen Sie zu.« Dem Ausdruck des rundlichen, sommersprossigen Gesichts war das sächsische Idiom harmonisch angemessen. »Ruhm«, hub sie wieder an in diesem Idiom, wobei sie sich vorsichtig näherte und mit einem dicken Zeigefinger nach dem Paket stach, »Weltruhm, garantiert, Sie sind doch Schriftsteller - oder?« Es folgte die ausführliche Schilderung eines Gesprächs mit dem hiesigen Konsumfleischer, das ihr angeblich meinen Beruf zur Kenntnis gebracht hätte. Die Kinder würden sich wahrscheinlich vom Spielplatz kennen. Seitdem sie verheiratet wäre, könnte sie leider nicht mehr mit Sicherheit auf einen Kindergartenplatz rechnen. Das hieße: vage Aussichten für ihren eigentlichen Beruf. Und der andere wäre ihr mit dem Tod der Freundin verlorengegangen. Falls ich zögern würde, könnte dieser wunderlichen Frau kein angemessener Grabstein gekauft werden. Ich sprach mein Beileid aus. Gespannt. Die Frau schwieg aber plötzlich. Ich sah gleichgültig in den Himmel, den eine Gaswerkwolke zusätzlich verdunkelt hatte. Scharrte mit den Schuhen Glassplitter vom Fußweg. Unschlüssig lief ich zur Pfütze und bat den Sohn der Frau, das Paket zu übernehmen. Der etwa dreijährige Junge entgegnete, Kapitän zu sein. Er beschrieb mir die Chancen seines Zerstörers in der Seeschlacht. Richard, mein Sohn, beschrieb die Chancen seines Zerstörers. Die Kriegsschiffe wurden von Eislöffeln dargestellt. Erleichtert lief ich zurück und erklärte, daß Schriftsteller keine Manuskripte kaufen würden, weil sie selbst welche verfertigen könnten. Die Frau nahm ein neues Taschentuch in Arbeit. Der erpresserische Einsatz von Augenwasser mäßigte meine mitleidigen Regungen. Statt jedoch das Verfahren mit dem nächstliegenden, einfachsten, wahrsten und hierzulande keineswegs ehrenrührigen Argument abzukürzen, verschwieg ich den Geldmangel und setzte mich und meine Profession mit Beschreibungen arbeitshinderlicher Mühen, die Manuskriptverkäufe mit sich brächten, in schlechtes Licht. Versuchte auch mit anderen geschäftlichen Erörterungen Zeit zu gewinnen. Schließlich sagte ich: »Was, Sie verlangen nicht nur aufreibende Verhandlungen umsonst, sondern obendrein dreitausend Mark? Für einen Grabstein dreitausend Mark?« " »Jawohl«, sagte die Frau und daß die berühmte Beatriz de Dia noch größere Ehrenbezeigungen verdient hätte. Ich bedauerte wörtlich, daß mir der Ruhm der verstorbenen F unwiderstehliche Sog der Neugier, ich wußte längst, daß ich der Verschuldung nicht entgehen würde. Unwillkürlich nestelte ich an der Paketverschnürung. Frau Laura sagte: »Erst wenn ich die Mäuse habe, können Sie klauen. Soviel Sie wollen. Meinetwegen alles. Tausend, weil Sie es sind. Die Aufzeichnungen ersparen Ihnen mindestens zehn Reisen, hundert Produktionsstudieneinsätze und tausend Gespräche. Die ganze Welt auf fünf Pfund
Papier. Siebenhundert Mark auf die Hand, und Sie sind eine gemachte Frau.« Ich raffte das Paket von Lauras Arm, den Sohn von der Pfütze und bat in meine Wohnung. Dort händigte ich mein Monatsbudget gegen Quittung aus. Als ich die Verschnürung zerschnitten hatte, fragte ich Laura, weshalb sie nicht eine gemachte Frau werden wollte. »Ich bin eine«, entgegnete sie, »sobald ich wieder meine Züge durch die Stadt fahren kann, bin ich eine. Seßhafte Beschäftigungen bekommen mir nicht. Auch fiele mir schwer, zu entscheiden, ob gelacht oder geweint werden sollte. Schluß mit dem Geschreibsel.« Ich steckte meinen Sohn in trockne Hosen und Schuhe, lieferte ihn verspätet, das heißt gerügt, im Kindergarten ab und konnte endlich in der neunten Stunde des 3. April mit der Lektüre beginnen. Die Dokumente rechtfertigten das Kaufrisiko auf ideale Weise. Meine Erwartungen wurden ganz und gar übertroffen. Ich begann sofort mit der Ordnung und Bearbeitung der sensationellen Zeugnisse für den Druck. Die vorliegende Buchfassung folgt in der Beschreibung aller wesentlichen Ereignisse streng den Quellen. Schriftstücke wurden unverändert in neuer, dem Leser entgegenkommender Reihenfolge wiedergegeben. " Am 7. April erwies ich Beatriz de Dia die letzte Ehre. Ihr Leichnam hatte drei Wochen gekühlt Wissenschaftlern zur Forschungszwecken zur Verfügung gestanden.
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