Beschreibung
Eiskalt und spannendAnatoli Boukreev, der russische Bergführer aus Scott Fischers Expedition, schildert die Ereignisse an jenem verhängnisvollen 10. Mai 1996 aus seiner Sicht.
Der Russe Anatoli Boukreev hat elf der vierzehn Achttausender ohne Hilfe von Sauerstoff bestiegen und galt als einer der besten Bergsteiger der Welt. An dem verhängnisvollen 10. Mai 1996, als in der Todeszone auf dem Mount Everest fünf Menschen starben, nahm er als Führer an Scott Fischers Expedition teil und kämpfte sich mehrmals durch den peitschenden Wind, um Expeditionsteilnehmer vor dem sicheren Tod zu retten.
Autorenportrait
Der 38jährige russische Profi-Bergsteiger und Bergführer Anatoli Boukreev bestieg elf der vierzehn Achttausender der Welt ohne Sauerstoffgerät und galt als einer der besten Bergsteiger der Welt. Er stand insgesamt vier mal auf dem Gipfel des Mount Everest. Für seine Rettungsaktionen am 10. Mai 1996 erhielt er vom amerikanischen Alpine Club den David-Sowles-Preis. Im Dezember 1997 wurde er während der Besteigung des Annapurna (8091 Meter) von einer Lawine getötet.
Leseprobe
Fünf Tage nach der Everest-Katastrophe vom 10. Mai 1996 setzten sich neun Bergsteiger im Mountain-Madness-Basislager zusammen und hielten ihre Gedanken und Erinnerungen auf Band fest. Viele Einzelheiten und einige Zitate in diesem Buch sind diesen Aufnahmen entnommen. Anatoli Boukreev, selbst Teilnehmer an dieser "Manöverkritik", benutzt sie als Quelle und möchte den anderen für ihre der Wahrheits- und Selbstfindung dienenden Bemühungen danken, die wichtige Beiträge zur historisch korrekten Berichterstattung darstellen. Zitate, die aus diesen Tonbandaufnahmen stammen, wurden in kursiver Schrift gesetzt.
Prolog
In alten buddhistischen Schriften wird der Himalaja "Schneespeicher" genannt, und dieser Speicher wurde 1996 immer wieder durch ungewöhnlich ergiebige Schneefälle aufgefüllt.
Am frühen Abend des 10. Mai 1996 tobte in den Hochregionen des Mount Everest über zehn Stunden lang ein ungewöhnlich heftiger Schneesturm. Dreiundzwanzig Männer und Frauen, Bergsteiger, die an jenem Tag über die Südroute von Nepal aus aufgestiegen waren, schafften es nicht, sich in die Sicherheit ihres Hochlagers zu retten. Praktisch ohne Sicht, einem Sturm in Hurrikanstärke ausgesetzt, der einen Laster hätte umkippen können, kämpfte die Gruppe um ihr Leben.
Sie waren in der Todeszone gefangen, in jener Höhenlage über 8000 Meter, in der tiefe Temperaturen und Sauerstoffmangel rasch zum Tod führen können.
Während die Bergsteiger ums Überleben kämpften, konnten sie oft nur eine Armlänge weit sehen. Stellenweise gab es Seilsicherungen, an denen sie sich orientieren konnten. Dann sanken die Druckanzeigen ihrer Sauerstoffflaschen auf Null, und wirres Denken, Symptom der Höhenkrankheit, ließ keine rationalen Überlegungen mehr zu. Anzeichen von Erfrierungen machten sich bemerkbar, die spätere Amputationen nicht nur denkbar, sondern wahrscheinlich machten. Der Dunkelheit und dem heulenden Sturm ausgeliefert, fing man zu feilschen an. Meine Finger für mein Leben? Meinetwegen. Aber laß mich leben.
Unterhalb der im Abstieg begriffenen Gruppe, im Hochlager, zu dem sie sich hinunterkämpften, focht ein russischer Bergsteiger und Bergführer seinen ganz persönlichen Kampf aus. Um andere Expeditionsteilnehmer zu einem Rettungsversuch der im Sturm Verlorenen aufzurütteln, brüllte, flehte und bettelte er sie an.
Anatoli Nikolajewitsch Boukreev faßte einen Entschluß, den einige später als selbstmörderisch bezeichnen sollten. Er entschloß sich zu einem Rettungsversuch im Alleingang, trotz des tobenden Schneesturms, fast völliger Dunkelheit und eines Getöses, das einer der Bergsteiger mit "hundert über dem Kopf dahinbrausenden Güterwaggons" verglich. Boukreevs Entschluß führte zu "einer der erstaunlichsten Rettungsaktionen in der Geschichte des Bergsteigens", wie der Kletterer und Autor Galen Rowell schrieb.
Zwei Wochen nach der Katastrophe am Mount Everest flog Boukreev von Kathmandu in Nepal nach Denver, Colorado, wo ihn Freunde abholten und ihn nach Santa Fe in New Mexico brachten, damit er sich von seinen Strapazen erholen konnte. Nach seiner Ankunft bat er mich zu einem Treffen, da ich einige Monate zuvor auf Ersuchen eines gemeinsamen Freundes eine Kamera gekauft und veranlaßt hatte, daß sie ins Everest-Basislager geschickt wurde. Unsere erste Begegnung war für den 28. Mai 1996 vereinbart.
Ich kannte Fotos von Boukreev aus der Zeit vor den Ereignissen am Mount Everest. Schlank, durchtrainiert, mit einem selbstsicheren Lächeln, so stellte ich ihn mir vor. Als ich ins Haus unseres gemeinsamen Freundes kam, erhob er sich zur Begrüßung langsam aus einem Sessel. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und blickten erschöpft. Die Nasenspitze und Teile seiner Lippen wiesen schwarze Verkrustungen auf, abgestorbene Hautpartien, die von schweren Erfrierungen herrührten. Er war geistesabwesend, so als hätte er seinen Leib verlassen und befände sich an einem unzugänglichen Ort.
Etwas an ihm war mir von ir ebenso am übernächsten. Unser gemeinsamer Freund vertraute mir an, daß Boukreev in der Nacht von Träumen geplagt wurde, von beängstigenden Träumen, in denen er hilflosen Kletterern, die er nicht finden konnte, Sauerstoffnachschub bringen mußte. Von den Träumen erzählte Boukreev mir nie, wohl aber von den Ereignissen am Everest, wie er zum Berg gekommen war und wie er ihn in den letzten Maitagen verlassen hatte. Seine Schilderungen waren weder dramatisiert noch ausgeschmückt. Eine Kanne Tee hatte bei ihm denselben rethorischen Stellenwert wie das Verirren im Schneesturm. Ich lernte die Offenheit zu schätzen, mit der er meine Fragen beantwortete, Fragen, die mit meiner wachsenden Neugierde drängender und detaillierter wurden. Wir gingen dazu über, unsere Gespräche auf Band festzuhalten.
Anfang Juni 1996 kamen Boukreev und ich überein, dieses Buch gemeinsam zu schreiben. Wir wollten zusammenarbeiten, doch erklärte ich ihm von vornherein, daß mein Interesse über seine persönlichen Erlebnisse hinausreichte und ich meine eigenen Fragen stellen wollte. Der Vorschlag sagte ihm zu. Einiges wußte er aus eigener Anschauung, anderes hatte er selbst nicht miterlebt. Daher war er so gespannt wie ich, wohin der Weg uns führen würde.
Boukreev steuerte seine persönlichen Tagebücher, Briefe, Expeditionstagebücher und seine Erinnerungen bei. Er nahm die am Mount Everest verlorenen zwanzig Pfund wieder zu, und er lernte wieder zu lächeln. Ich besuchte die Bergsteiger, die mit ihm aufgestiegen waren, und die Freunde und Gefährten jener, die nicht zurückgekehrt waren. Mit Hilfe von Übersetzern, Dolmetschern und Freunden wurde diese Geschichte des Aufstiegs zusammengetragen, während sich weiterhin Tragödien ereigneten und unser Leben weiterging.
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