Beschreibung
Als der historische Jesus ungefähr im Jahr 7 v. Chr. geboren wird, herrscht noch Augustus als Kaiser. Im Jahr 14 n. Chr. beginnt die Regentschaft von Tiberius, und da er seinen Vorgänger zum "Divus", zum "Vergöttlichten" ausrufen läßt, wird er zum "Filius Divi", zum Sohn Gottes. Das aber ist genau der Titel, der im Lukasevangelium für den noch ungeborenen Jesus in Anspruch genommen wird. Carsten Peter Thiede erzählt das Leben des Religionsgründers und das des römischen Kaisers vor dem Hintergrund der religions- und machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen Kaiserkult und jüdischem Messiasglauben. Diese parallele Betrachtung der scheinbar unvergleichbaren Kontrahenten gab es bisher nicht, und sie führt zu überraschenden Perspektiven. Denn mit diesem Blick auf den historischen Jesus wird eine Darstellung auch der römischen Sichtweise möglich, und manches verschüttete Quellenmaterial macht erstaunlich neuen Sinn. Bravourös vergegenwärtigt Thiede einen geschichtlichen Moment, der sich als einer der Wendepunkte der Weltgeschichte herausstellen wird: In der Tradition der Doppelbiographie, die von Plutarch erfunden und zuletzt von Alan Bullock zu einem vorläufigen Höhepunkt geführt wurde, erzählt er von einem Sohn Gottes, den die Weltgeschichte vergessen hat, und von einem, der Weltgeschichte schrieb. Es ist eine Freude zu lesen, wenn hier der Althistoriker dem Schulbetrieb von außen her sagen kann, dass oftmals der Kaiser eben doch nur nackt ist. F.A.Z. zu "Ein Fisch für den römischen Kaiser" "Am spannendsten ist das Buch da, wo es aus dem historischen Kontext heraus Aussagen der Evangelien neu bewertet." Neue Luzerner Zeitung
Autorenportrait
Carsten Peter Thiede, 1952-2004, war Historiker und Papyrologe. Er lehrte als Professor für Umwelt und Zeitgeschichte des Neuen Testaments in Basel (STH) und hatte einen Lehrauftrag an der Ben-Gurion Universität des Negev, Beer-Sheva.
Leseprobe
Inhalt: 1 Einleitung: Die Söhne Gottes und die Quellen Fragezeichen Zerreißproben und Untergänge Bruderkriege und Gottessöhne 2 'Wegen ausschweifenden Lebenswandels': Skandale und Propheten Im Dickicht der Familien Bildungswege: Tiberius und der Vatergott Weisheit aus Gadara: Theodorus, Tiberius und Jesus Unglückliche Jahre: Die Frauen des Tiberius Bethsaida und die doppelte Julia Familienbildung - Jesus, die Ehe und die Enthaltsamkeit 3 Im Osten nur Neues: Varus, Tiberius und die Jugend des Jesus Ein Gang durch Nazareth Jesus und die Soldaten der Römer Galiläa und der Teutoburger Wald: Ein Freund des Tiberius siegt und stirbt 4 Meuterer und Rebellen: Der Kaiser und seine Gegner von Gallien bis Judäa. Ein Zwischenspiel Götter und fromme Herren Ein Mordfall und andere Unannehmlichkeiten Meinungsbildung: Eine Umfrage wird ausgewertet Machtverteilung und Schlüsselgewalt Schreiben und Trinken 5 'Der Frieden sollte gewahrt bleiben': Gegen Jesus und Sejan Die Beliebtheit und das Gesetz: Ein Gespräch mit dem Kaiser Geschichten und Geschichte Das Rätsel Sejan 6 Nach dem Leben ist vor dem Leben: Wie stirbt ein Sohn Gottes? Der Stein des Pilatus Tödliche Beleidigungen? Der Caprifischer: Das Netz des Tiberius wird enger Schuld und Unschuld: Vom Händewaschen zum Judenhaß Jesus, Augustus und Tiberius: Letzte Worte der Söhne Gottes 7 Epilog: 'Weh mir, ich glaube, ich werde ein Gott!' Unruhige Jahre Die vierzig Tage des Jesus Christus Tiberius und ein Altar für den Messias Jesus Anmerkungen Register 1 Einleitung: Die Söhne Gottes und die Quellen Lustig in die Welt hinein Gegen Wind und Wetter! Will kein Gott auf Erden sein, Sind wir selber Götter! Wilhelm Müller, 'Mut!' (drittes Quartett), aus: Die Winterreise, 1828 'Wir schwören bei Cäsar, Gott, von einem Gott abstammend.' Papyrus Oxyrhynchus 1453, 30/29 v. Chr., auf Cäsar Octavian (Kaiser Augustus) Fragezeichen Brauchen wir einen realen, historischen Jesus, oder sollten wir uns damit zufriedengeben, daß Jesus im Bewußtsein vieler Menschen zur mythischen Hauptperson einer der Weltreligionen geworden ist? Neueste archäologische Entdeckungen, die Wiederentdeckung vergessener Quellen, unerwartete Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel internationaler Forscher geben die Antwort: Die Zeit des Jesus von Nazareth gehört heute zu den Epochen, über die uns mehr bekannt ist als über jede andere der Antike. Daß es so ist, wissen jedoch nur wenige. Viel weiter verbreitet sind die alten Vorurteile aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach denen es wenig Gewißheit über den Jesus der Geschichte gibt. Wer unbedingt will, so heißt es, möge sich an den Christus des Glaubens halten. Nach einem alten Scherz, der unter Historikern erzählt wird, wisse man zwar, daß Jesus gekreuzigt wurde, aber ob er jemals geboren wurde, sei schon weniger sicher. Die Althistoriker, die Experten für antike Geschichte also, und die klassischen Philologen, die sich mit den Texten der Antike befassen, haben dieses Spiel lange mitgespielt: 'Christiana non leguntur' hieß das geflügelte Wort: Christliches wird nicht gelesen. Schließlich gab und gibt es dafür an den Universitäten eine eigene Fakultät, die theologische.1 Unter den Theologen hatten die Spezialisten für das Neue Testament ihrerseits wenig Interesse daran, ihre Texte als Quellen der antiken Geschichte ernst zunehmen. Man behandelte sie lieber als etwas ganz Eigenes, das nach besonderen Spielregeln zu untersuchen sei. Sogar eine eigene Sprache, die es nie gab, wurde zu diesem Zweck unterrichtet: Neutestamentliches Griechisch.2 Befremdlicher als die Langsamkeit, mit der sich Altertumswissenschaften und Theologie aufeinanderzubewegen (manche Kritiker meinen, sie bewegen sich eher noch immer auseinander), ist der ...