Die russische Affäre

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783630872858
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Format (T/L/B): 3.8 x 21.9 x 14.6 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Wer die Liebe verrät, verrät sich selbst Moskau, 1978: Die neunundzwanzigjährige Anna, Tochter des in Ungnade gefallenen Lyrikers Viktor Zasuchin, lebt zusammen mit ihrem chronisch kränkelnden Sohn Petja und ihrem Vater in einer beengten Wohnung in der Stadt. Ihr Mann Leonid wurde nach Sachalin versetzt, von wo er nur selten Urlaub nach Hause bekommt. Anna selbst arbeitet als Anstreicherin in einem Moskauer Baukombinat und versucht die Familie einigermaßen über die Runden zu bringen. Es ist kein leichtes Leben, das sie führt, und so ist ihre heimliche Affäre mit dem stellvertretenden Forschungsminister Alexeij Bulyagkow Annas einzige Abwechslung. Doch gerade dieses Verhältnis droht ihr zum Verhängnis zu werden. Anna wird von der Staatssicherheit erpresst, Bulyagkow auszuspionieren. Trotz innerer Bedenken und der Furcht, die Kontrolle über ihr Leben zunehmend zu verlieren, beginnt Anna den eigenen Geliebten zu bespitzeln. Eine Zeit lang kann sie sich einreden, dies nur zu dessen eigenem Besten zu tun. Doch eines Tages fasst sie den Entschluss, das verhasste Doppelleben abzustreifen und Bulyagkow die Wahrheit zu gestehen, selbst wenn es vielleicht zu spät ist für den Weg zurück . Mit »Die russische Affäre« hat Michael Wallner den Roman einer Frau geschrieben, die ihre Werte und ihre Liebe verraten muss, um mit ihrer Familie in den beengten Verhältnissen ihrer Gegenwart zu bestehen. Sie ist es leid, sich ständig arrangieren zu müssen, und gibt den Kampf nicht verloren, sich selbst, trotz aller Widrigkeiten, treu zu bleiben.

Leseprobe

Anna lachte und wandte sich nach links, um dem schroffen Wind den Rücken zu kehren. Der Mann vor ihr faltete sein Handtuch, legte es auf die Schuhe und trat an den Rand. Statt sich mit Wasser nass zu machen, griff er in den Schnee und rieb die Brust damit ein. Begleitet von den mitleidigen Glückwünschen der Umstehenden, spannte er das Kreuz, zog die Arme an, schnellte im Sprung nach vorne und verschwand im schwarzen Wasser. Eisstückchen schwankten gegeneinander, Anna sah zu, wie der Mann bis ans Ende seines selbst geschaffenen Beckens tauchte und hochkam. Sein Bart, eben noch weiß und struppig, schmiegte sich grau an die Backen. Seelenruhig begann er im Kreis zu schwimmen. "Er sollte Bademeister werden", rief die Frau neben Anna und klappte den Pelzbesatz ihrer Mütze über die Ohren. "Dann könnte er Eintritt verlangen." "Die Moskwa gehört allen", antwortete einer mit Brille, sein Regenschirm wurde vom Schneewind zur Seite geknickt. Anna wich den Drahtspießen aus und beobachtete, wie der Bärtige mit immer schnelleren Stößen gegen die Kälte anschwamm. Sie drängte aus der Gruppe und lief auf das Ufer zu. Unter dem Krasnopresnenskaia-Kai stieg sie die vereiste Treppe hoch und erreichte kurz darauf die Haltestelle des Busses, der sie nach Hause brachte. Während der Fahrt unterhielten sich die Leute darüber, dass es wärmer würde, morgen sollte das Thermometer auf unter minus dreißig Grad steigen. Das bedeutete, auch für die Kleinen waren die Kälteferien zu Ende. Anna nickte zufrieden; dass Petja nicht zur Schule musste, hatte manches in Unordnung gebracht. Mit einem Ruck verließ der Omnibus die mittlere Fahrbahn. Anna bemerkte den Milizionär, der das schwere Fahrzeug beiseite winkte; am Ende des Prospekts tauchte ein dunkler Wagen auf, der rasch näher kam. Der Bus trudelte auf die rechte Seite, schon war der Tschaika hinter ihnen, nun auf gleicher Höhe, Anna sah eine ondulierte Dame auf dem Rücksitz mit einer Zeitschrift auf dem Schoß; das Fahrzeug schoss vorüber. Obwohl auch der Milizionär erkannt haben musste, dass lediglich ein weiblicher Fahrgast darin saß, salutierte er hinter dem Tschaika her. Am FiljowskiPark stieg Anna aus. Die Reihe der Wartenden an der Ecke zeigte ihr, dass die Pfirsichkonserven eingetroffen sein mussten. Ob sie sich anstellen sollte? Es wäre die vierte Schlange dieses Tages. Anna verscheuchte den Gedanken ans Pfirsichkompott, bog in ihre Straße ein und betrat das Haus Nummer sieben. Im dritten Stock schloss sie die Wohnungstür auf. "Hast du Toilettenpapier bekommen?", fragte ihr Vater. "Nein, Genosse, ich habe kein Toilettenpapier bekommen", antwortete Anna im Ton einer Pionierin. "Wenn du denkst, wir können weiterhin Zeitungspapier verwenden, irrst du." Mit ausgebreiteten Armen wies Viktor Ipaljewitsch von einem Ende der Wohnung zum andern. "Das Papier in den Fenstern ist undicht geworden, ich musste es ausbessern." "Auch im Zimmer?" Anna stellte ihre Tasche auf den Tisch. "Im Zimmer, in der Küche, wo du willst." Da seine Tochter die Geste nicht wahrnahm, ließ er die Arme sinken, holte das dunkelbraune Brett vom Regal und stellte die Figuren auf. Seine Schirmmütze, die er auch in der Wohnung aufbehielt, ließ ihn jünger wirken; lediglich der Kinnbart verriet, dass der Lyriker Viktor Ipaljewitsch Zasuchin grau geworden war. Anna hob die Nase. "Hast du wieder gebrannt?" Ihre Augen wurden schmal, die blauen Pupillen verdunkelten sich. "Das ist kein Grund, den eigenen Vater anzusehen wie einen Renegaten." Er wollte ihr den Zugang zur Küche verwehren, Anna war schneller. Auf dem Herd fand sie das verräterische System aus Blechröhren; eine ausgebeulte Teekanne diente als Kondensator, im Topf darüber kühlte der einfach Gebrannte, der im nächsten Arbeitsgang erneut durch das Labyrinth geschickt werden würde. "Auch wenn du das Fenster schließt, die Nachbarn riechen es doch." Anna betrachtete das Knie, mit dem das letzte Rohr in eine umgebaute Malerdose mündete. "Und werden die Nachbarn wegen eines Gl Leseprobe