Arbeit der Zukunft

Möglichkeiten nutzen - Grenzen setzen

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593504513
Sprache: Deutsch
Umfang: 520 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 22 x 15.3 cm
Auflage: 1. Auflage 2015
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Wirtschaft und Arbeitsleben verändern sich rasant: Technologische Umbrüche folgen immer schneller aufeinander, Dienstleistungen werden in globalem Maßstab erbracht, prekäre Beschäftigungsformen und psychische Belastungen nehmen zu. Neue Lebensentwürfe stellen den "klassischen Arbeitstag" infrage. Konflikte brechen auf: um den Wert der Arbeit, um gerechte Bezahlung, um die Entgrenzung von Arbeit und Leben. Dieses Buch analysiert aktuelle Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene, nennt Handlungsfelder und Lösungsansätze für Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Im Spannungsfeld der neuen Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen zeigt es programmatisch auf, wie neue Leitlinien für "Gute Arbeit" entwickelt werden können - für eine "Arbeit der Zukunft".

Autorenportrait

Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Claudia Bogedan leitet die Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.

Leseprobe

Gestaltungsanforderungen an die Arbeit der Zukunft: Elf Thesen Reiner Hoffmann Die Debatte über die Zukunft der Arbeit ist keineswegs neu, sie durchzieht die gesellschaftspolitischen und gewerkschaftlichen Diskurse seit vielen Jahrzehnten. Bereits in den 1950er Jahren prognostizierte Hannah Arendt, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen würde. Ralf Dahrendorf griff die These in den 1980er Jahren auf: Er sagte das Ende der Arbeitsgesellschaft vorher und erklärte die Gewerkschaften zu Dinosauriern der Industriegesellschaft. Auch Jürgen Habermas und André Gorz konstatierten das Ende der arbeitsgesellschaftlichen Utopie, den "Abschied vom Proletariat" und "Wege ins Paradies". Natürlich war die Debatte auch geprägt von enormen Rationalisie-rungsschüben und einer hohe Massenarbeitslosigkeit. Das von den Ge-werkschaften verfolgte Ziel, Vollbeschäftigung wiederherzustellen, wurde keinesfalls mehr selbstverständlich von der gesamten Gesellschaft geteilt. Die Diskurse in der damals aufkommenden Umweltbewegung und der Partei "Die Grünen" beförderten die Diskussion über Alternativen zur Erwerbsarbeit. Angesichts eines hohen Beschäftigungsstandes in Deutschland hat in-zwischen erneut ein Perspektivenwechsel stattgefunden. Statt über die Be-freiung von der Arbeit zu debattieren, geht es um die Befreiung in der Arbeit. Das unterstellt aber zugleich: Arbeit - oder genauer: Erwerbsarbeit - hat eine Zukunft. Deshalb heißt das vorliegende Buch "Arbeit der Zukunft". Wie diese genau aussehen wird, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen. Zu viel hängt von politischen Kräfteverhältnissen, gesellschaftspolitischen Diskursen und den sogenannten Megatrends (wie Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel) ab, die sich nur schwer antizipieren lassen. Aber manches liegt doch auf der Hand: Die Erfahrungen der internationalen Finanzmarktkrise haben gezeigt, dass wir durchaus nicht auf dem Weg in eine schöne neue, "reine" Dienstleistungsgesellschaft sind - und dies auch nicht wünschenswert ist. Natürlich wird sich der wirtschaftliche Strukturwandel erheblich auf die zukünftige Branchenzusammensetzung auswirken, es wird zu einer weiteren "Verflüssigung" der Branchenstrukturen kommen. Und natürlich werden vor allem produktionsorientierte Dienstleistungen einen wichtigen Stellenwert einnehmen; Industrie und Dienstleistungen werden sich immer stärker verzahnen. Dennoch wird Erwerbsarbeit auch weiterhin in hohem Maße von der industriellen Wertschöpfung abhängen. Nicht umsonst hat die EU-Kom-mission im letzten Jahr das politische Ziel einer Reindustrialisierung Europas weit nach oben auf die politische Agenda gesetzt - und in Deutschland ist der Anteil industrieller Wertschöpfung mit 25 Prozent schon jetzt im europäischen Vergleich außerordentlich hoch. Industriearbeit wird ihren hohen Stellenwert für die Arbeit der Zukunft behalten. Bevor ich die Gestaltungsanforderungen an die Arbeit der Zukunft formuliere, gilt es zunächst, auszuloten, welche Kernanforderungen wir an Arbeit stellen, was also für uns Gute Arbeit ausmacht. 1. These: Gute Arbeit ist menschengerecht gestaltete Arbeit. Es bedeutet in der Tat eine erhebliche Anstrengung, Arbeit zu "Arbeit mit menschlichem Antlitz" zu machen, wie das bereits 1944 die Erklärung von Philadelphia über die Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gefordert hatte. Die Arbeitsforschung ist dafür ein zentraler Hebel, weshalb sie schnellstens ausgebaut werden muss. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat die Investitionen in die Arbeits- und Humanisierungsforschung für 2015 noch einmal aufgestockt. In den Folgejahren sollen die Mittel weiter erhöht werden. Damit wird eine gewerkschaftliche Forderung aufgegriffen. Wir wollen und werden die Chancen und Potenziale der Arbeit der Zukunft nutzen. Gleichzeitig muss Arbeit besser gestaltet werden, um Psychostress und Leistungsdruck am Arbeitsplatz zu mindern, Qualifizierung zu stärken und die Arbeitszeit im Sinne der Beschäftigten zu flexibilisieren. Neben entwicklungs- und persönlichkeitsfördernden Aspekten der Ar-beitsgestaltung und der Erhöhung der Arbeitsqualität besteht besonderer Forschungs- und Handlungsbedarf zu gesundheitsförderlichen Arbeitsbe-dingungen. Die Befunde deuten darauf hin, dass in den letzten Jahren vor allem die Zahl psychischer Erkrankungen infolge von zunehmendem Stress und unzureichenden Anstrengungen bei der Gestaltung von Arbeitsaufgaben, Arbeitsmitteln und Arbeitsorganisation sowie sozialer Arbeitsbedingungen drastisch angestiegen ist. Wenn wir über menschengerecht gestaltete Arbeit sprechen, dürfen wir uns nicht auf Deutschland und Europa beschränken. Die Globalisierung von Wertschöpfungsketten geht in vielen Fällen mit der Ausbeutung von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern in Entwicklungsländern einher, wie wir dies in jüngerer Zeit besonders dramatisch in der Textilindustrie erlebt haben. Arbeitsgestaltung und Gute Arbeit in anderen Weltregionen sind auch ein Anliegen der deutschen Gewerkschaften. 2. These: Gute Arbeit braucht Qualifizierungs- und Entwicklungschancen. Bildung und Qualifizierung sind schon seit Jahren Topthemen in der öf-fentlichen Debatte. Und das aus gutem Grund: Die erreichten Bildungsabschlüsse sind ein zentraler Platzanweiser in unserer Gesellschaft. Noch immer gilt die Faustregel: Je höher der Bildungsabschluss, desto besser sind die Chancen auf Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Liegt die Arbeitslosenquote von Akademikern bei 2,5 Prozent, sind bei den An- und Ungelernten 20 Prozent arbeitslos. Und dieser Trend wird sich noch verschärfen: Der Einsatz neuer Technologien (Stichwort Industrie 4.0), der Abbau von Hierarchien im Betrieb, die Verlagerung koordinierender Aufgaben auf die ausführende Ebene - all das stellt höhere Anforderungen an die Beschäftigten. Bildungsabschluss, Qualifizierung und Gute Arbeit hängen also zusammen. Das Recht auf eine gute Bildung und Ausbildung ist zentral, wenn es darum geht, den Menschen ein Leben und eine Arbeit in Würde zu bieten. Deshalb haben wir im Dezember 2014 gemeinsam mit Bund, Ländern und Wirtschaft die "Allianz für Aus- und Weiterbildung" geschmiedet. Sie ist die entscheidende Grundlage für die Stärkung der dualen Ausbildung in diesem Land. Wir können es nicht hinnehmen, dass rund 260.000 junge Menschen in Maßnahmen für den Übergang von der Schule zur Ausbildung stecken - oftmals ohne Aussicht auf einen Berufsabschluss. Die neue Allianz steht für einen Paradigmenwechsel: weg von den zahllosen Maßnahmen im Parallelsystem hin zu betrieblicher Ausbildung, bei Bedarf mit professioneller Begleitung. Bildung ist das Fundament für Gute Arbeit und für die Arbeit der Zu-kunft, die sich über verschärften Wettbewerbsdruck in globalen Märkten behaupten muss. Dazu gehören auch deutlich größere Anstrengungen, um das Konzept eines lebensbegleitenden Lernens zu realisieren. Wenn die Halbwertszeit technologischer Innovationen immer kürzer wird, dann sind auch Qualifikationen immer schneller überholt. Daher ist der Ausbau der Weiterbildung über die gesamte Erwerbsbiografie dringend voranzutreiben - im Rahmen von Tarifverträgen und gesetzlichen Bil-dungszeiten. Bildung und Bildungspolitik dürfen aber nicht auf die ökonomischen Verwertungsbedingungen reduziert werden. Gute Bildung ermöglicht auch die demokratische und kulturelle Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und hat somit immer auch eine emanzipatorische Dimension. 3. These: Gute Arbeit ist mitbestimmte Arbeit. Mitbestimmung ist die Grundlage dafür, dass auch in der digitalen Arbeitswelt individuelle Wünsche, soziale Interessen und ökonomischer Erfolg im Zusammenwirken mit den Tarifverträgen auf Augenhöhe ausbalanciert werden. Keiner soll auf eine betriebswirtschaftliche Kennziffer reduziert werden. Wirtschaften ist kein Selbstzweck. Mitbestimmung macht die Arbeitnehmerin und den Arbeitnehmer zur Bürgerin und zum Bürger im ...