Ordnungen religiöser Pluralität

Wirklichkeit - Wahrnehmung - Gestaltung, Religion und Moderne 3

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593503431
Sprache: Deutsch
Umfang: 657 S.
Format (T/L/B): 4 x 21.2 x 14.1 cm
Auflage: 1. Auflage 2016
Einband: Paperback

Beschreibung

Religion und Moderne Herausgegeben von Thomas Großbölting, Detlef Pollack, Barbara Stollberg-Rilinger und Ulrich Willems Die Debatten zur 'religiösen Pluralität' sind meist von der Annahme getragen, dass die Vielfalt von Religionen ein spezifisch modernes Phänomen ist. Historische Forschungen fördern gleichwohl ein anderes Bild zutage: Religiöse Pluralität erscheint darin nicht als ein Novum der Religionsgeschichte. Wie aber unterscheidet sich die Wirklichkeit religiöser Pluralität in der Antike von der gegenwärtigen Lage? Wie wandeln sich die Vorstellungen von der Gestaltung, der Ordnung religiöser Pluralität? Der Band nimmt Sondierungen in verschiedene Epochen und Religionskulturen vor.

Autorenportrait

Ulrich Willems ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster. Astrid Reuter ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Centrums für Religion und Moderne (CRM) an der Universität Münster, Daniel Gerster ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Leseprobe

Ordnungen religiöser Pluralität. Eine Einleitung Daniel Gerster/Astrid Reuter/Ulrich Willems Das Stichwort religiöse Pluralität ist in aller Munde. Die aktuellen öffentlichen Debatten sind vielfach von der Annahme getragen, dass die Vielfalt von Religionen ein spezifisch modernes Phänomen sei. Historische Forschungen fördern gleichwohl ein anderes Bild zutage. Religiöse Pluralität erscheint darin nicht als Novum der Religionsgeschichte. Sie findet sich in antiken Kulturen ebenso wie im häufig als monolithisch-christlich gezeichneten europäischen Mittelalter. Wie aber unterscheidet sich die Wirklichkeit religiöser Pluralität in der Antike von der Gegenwartslage? Wie nahmen und nehmen unterschiedliche Religionskulturen religiöse Pluralität wahr? Wie verhalten sich die verschiedenen religiösen Weltvorstellungen und Lebensführungen zu nicht-religiösen, säkularen Welt- und Lebensmodellen? Und wie wirkt sich schließlich der historische Wandel von Wirklichkeit und Wahrnehmung auf die Gestaltung(smöglichkeiten) von Ordnungen religiöser Pluralität aus? Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes gehen diesen Fragen nach. Sie nehmen exemplarisch Sondierungen in verschiedenen Epochen, Regionen und Religionskulturen vor und ordnen die Entwicklung von Wirklichkeit, Wahrnehmung und Gestaltung religiöser Pluralität in die jeweiligen sozialkulturellen, rechtlichen, politischen und ökonomischen Kontextbedingungen ein. Die Beiträge sind überwiegend hervorgegangen aus zwei Ringvorlesungen, die der Exzellenzcluster Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in den Wintersemestern 2010/11 und 2012/13 zu den Themen Integration religiöser Vielfalt sowie Religiöse Vielfalt. Eine Herausforderung für Politik, Religion und Gesellschaft, letztere in Kooperation mit dem Centrum für Religion und Moderne, durchgeführt hat; einige Autorinnen und Autoren konnten zusätzlich gewonnen werden. Der vorliegende Band fächert das Thema Ordnungen religiöser Pluralität in drei Teile auf. Im ersten Teil wird eine - bis in die Antike zurückreichende - historische Perspektive auf die Wirklichkeit religiöser Pluralität, ihre Wahrnehmung und Gestaltung eröffnet. Anhand von historischen Tiefenbohrungen wird gefragt, wie viel Pluralität sich Gesellschaften und Religionen von der Antike über das Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert leisten wollten - und geleistet haben - und welche Pfadabhängigkeiten sich daraus für den gegenwärtigen Umgang mit religiöser Pluralität ergeben. Darüber hinaus unternehmen einige der Beiträge in diesem Abschnitt Suchbewegungen, um Spuren verschütteter religiöser Vielfalt in der (europäischen) Religionsgeschichte aufzufinden. Im zweiten Teil richtet sich der Blick auf den Umgang mit religiöser Vielfalt im Horizont verschiedener Religionskulturen. Angesichts der Bandbreite religiöser Phänomene in globalgeschichtlicher Perspektive bleiben die hier vorgenommenen Sondierungen notwendigerweise Einzelbeispiele. Einblicke geben die Beiträge unter anderem in den Umgang mit religiöser Pluralität in der Geschichte Chinas sowie in die Herausforderungen, denen sich Hinduisten angesichts der Vielfalt des religiösen Lebens ausgesetzt sehen. Darüber hinaus geben sie Auskunft über zeitgenössische islamische Diskurse zum Thema und nehmen die sich wandelnden Antworten auf religiöse Pluralität im Judentum und in verschiedenen christlichen Konfessionen in den Blick. Der dritte Teil schließlich ist der Frage gewidmet, wie die religionskulturelle Gegenwartslage in ihrer historischen Prägung gestaltet werden kann und sollte. Die Beiträge fokussieren in ihrer Mehrheit die aktuelle Situation in Deutschland, werfen vereinzelt aber auch einen Blick darüber hinaus. Sie untersuchen unter anderem, wie die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereiche - das Recht, die Politik, die Medien, die Wissenschaft - die religiöse Vielfalt verarbeiten, und fragen, wie religiöse Pluralität gesellschaftlich akzeptiert wird und welche Konsequenzen die Pluralisierung für die Herausbildung religiöser Identitäten hat. 1. Wirklichkeit und Wandel religiöser Pluralität in historischer Perspektive Keine historische Epoche wird im Allgemeinen weniger mit religiöser Pluralität assoziiert als das europäische Mittelalter. Stattdessen ist das Bild, das sich viele von der Zeit zwischen der Mitte des ersten Jahrtausends und den Jahren um 1500 machen, noch immer von der Vorstellung einer einheitlichen christlichen Kulturlandschaft geprägt. Sie wird beherrscht von einer allmächtigen katholischen Kirche, die sämtliche Bereiche des Religiösen durchdringt und deren Päpste, Bischöfe und Priester bisweilen in die Machtbereiche der weltlichen Herrscher ausgreifen. Obwohl weitverbreitet, ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass ein solches monolithisches Mittelalterbild keineswegs der historischen Realität entspricht. Vielmehr spiegeln sich darin unterschiedliche Vorstellungen, die sich die Menschen seit jeher, insbesondere aber im 19. und frühen 20. Jahrhundert, von der Epoche gemacht haben und die meist in einem engen Verhältnis zum Verständnis der eigenen Gegenwart standen und stehen. Die Dekonstruktion holzschnitt­artiger und häufig düsterer Mittelaltervorstellungen hat in den letzten Jahrzehnten das Wissen über die religiöse Landschaft in dieser Epoche enorm erweitert - und zu der Erkenntnis geführt, dass sie viel diverser war als landläufig bekannt. So kann einerseits nachgewiesen werden, dass das mittelalterliche Christentum in sich sehr vielgestaltig war, und zwar nicht nur aufgrund unterschiedlicher regionaler Ausprägung. Insbesondere für das 11. und 12. Jahrhundert lässt sich darüber hinaus eine Pluralisierung von Gemeinschaftsformen und Praktiken feststellen, die unter anderem in der cluniazenischen Reformbewegung markant zum Ausdruck kam. Zusätzlich zur inneren Pluralität des europäischen Christentums nehmen neuere Mittelalterstudien die Existenz verschiedener religiöser Gruppen und Vorstellungen in den Blick und fragen nach den Begegnungssituationen zwischen ihnen. Neben der Grenze von westlich-lateinischem und östlich-orthodoxem Christentum bietet sich hier die Beschäftigung mit der jüdischen Minderheit und mit dem Islam im Mittelmeerraum an. Im vorliegenden Sammelband ordnet sich der Beitrag von Benjamin Scheller in die Reihe solcher Untersuchungen ein, der nach dem Umgang mit religiöser Pluralität von Christen, Juden und Muslimen im normannisch-staufischen Königreich Sizilien fragt. Er legt dabei eine "dialek­tische Wechselbeziehung zwischen religiöser Pluralität und ihrem Niedergang" (121) frei. Der skizzierte Perspektivenwechsel ermöglicht nicht nur eine neue Sichtweise auf das europäische Mittelalter. Er legt zugleich offen, worauf es allgemein ankommt, wenn heutzutage in historischen Arbeiten nach der Rolle von Religion in Gesellschaft und Politik gefragt wird. An vorderster Stelle steht dabei, vorhandene Meistererzählungen wie die von einem düsteren und religionseinheitlichen Mittelalter in Frage zu stellen und dadurch neue Interpretationsfreiräume zu schaffen. Zu warnen ist in diesem Zusammenhang freilich davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten und beispielsweise religiöse Pluralität vom vormaligen "Sonderfall" zum "religionsgeschichtliche[n] Normalfall" zu erklären. Verbunden mit der Dekonstruktion herkömmlicher Großnarrative ist die Erweiterung der methodischen Zugänge. In der Geschichtswissenschaft sind diesbezüglich in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Vorschläge gemacht worden, die es erlauben, die Pfade einer reinen Höhenkammerzählung zu verlassen. Zu nennen wären unter anderem die sozialhistorische Herangehensweise, die die Gesellschaft als Ganzes zu vermessen versucht, indem sie verschiedene soziale Gruppen und übergeordnete Strukturen analysiert. Ein solcher Zugang verhindert, religiöse Phänomene nur anhand von Elitendiskursen zu beschreiben. Mit dieser Absicht erforschen auch die verschiedenen kul...