Beschreibung
Ob in einfachen zwischenmenschlichen Beziehungen oder in den komplexen Strukturen von Politik und Gesellschaft: Macht ist in allen sozialen Situationen wirksam. Der Band bietet eine interdisziplinäre Einführung in das Thema Macht sowie Darstellungen aktueller und innovativer Theorien aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Etablierte Forscher und Nachwuchswissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen eröffnen Perspektiven auf diesen gesellschaftlichen Fundamentalbegriff und legen die sozialphilosophischen, semiotischen und kommunikativen Eigenschaften von Macht frei.
Autorenportrait
Phillip Roth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrbereichs politische Theorie an der Hochschule für Politik München. Professor Ulrich Weiß war bis zu seiner Pensionierung 2012 Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie an der Universität der Bundeswehr München.
Leseprobe
Einleitung Macht ist heute längst nicht mehr nur ein Phänomen, das von Staatsleuten oder Regierungsbehörden ausgeht. Denn auch Wirtschaft, Medien oder ständig neue aufkommende technologische Errungenschaften bestimmen mittlerweile neben Politik das Weltgeschehen auf maßgebliche Weise. Es scheint, als habe sich die ursprünglich als rein politisch verstandene Macht selbst differenziert und ihre Kompetenz an andere gesellschaftliche Teilbereiche mit abgegeben. Dadurch haben sich nicht nur Mittel der Machtausübung gerändert. Es wird sondern auch immer schwieriger, Quellen der Macht genau zu verorten. Ist unser Verhalten tatsächlich das Resultat politischer Führung? Oder ergibt es sich vielmehr daraus, dass uns immer neue und raffiniertere Mittel zur Alltagsbewältigung angeboten werden? Wie ist es überhaupt möglich, dass wir zugleich Produkt und Urheber sozialer Normen sind? Und lässt sich eine Verschränkung ausmachen zwischen der Macht der Politik, der Medien, der Wirtschaft, der Technologien oder der Bildung und Erziehung? Es ist also deutlich, dass Macht heute ein vielfältiges und umfassendes Phänomen ist, das sogar mit neuen, noch unbestimmten Formen überrascht. Vor diesem Hintergrund scheint sich die Machtfrage nicht nur neu, sondern auch dringlicher als zuvor zu stellen. Es besteht ein Bedarf, das Thema breit und vertieft zu diskutieren, auch um dafür zu sensibilisieren. Die Publikationen aus der letzten Zeit bezeugen das (vgl. Brodocz/Hammer 2013; Anter 2012; Imbusch 2012; Rölli/Krause 2008; Han 2005). Zwar ist längst bekannt, dass Macht eine fundamentale Kategorie für die Gesellschaftswissenschaften darstellt (vgl. Russel 2004 [1938]: 4). Dabei spiegelt sich allerdings auch die Schwierigkeit, sie auf einen Begriff zu bringen, in der Diversität der existierenden Machtkonzepte. Andreas Anter (2012: 13) schreibt in seiner Einführung zum Thema: "Diese Heterogenität [der Theorien] beruht nicht zuletzt auf den sehr verschiedenen Erscheinungsweisen der Macht." Er macht auf die Notwendigkeit auf-merksam, "verschiedene Formen der Macht zu unterscheiden, um zu einem differenzierteren Machtverständnis zu kommen". (ebd.: 17) Entgegen der typischen Theorienbildung in den Geistes- und Sozialwissenschaften scheinen Machtforscher besser damit bedient, diese Pluralität zu akzeptieren und sich vielmehr auf die genaue Ausleuchtung einzelner Facetten des Phänomens zu konzentrieren. Aber wie lässt sich dann einem so diversen Thema auf die Schliche kommen? Welche Kategorien können helfen, ein grobes Verständnis der verschiedenen Machtformen zu bieten? Die zeitdiagnostische Beobach-tung, dass sich die Machtmanifestationen geändert haben, kann zumindest eine erste Annäherung an das Thema bringen: verstehen wir Macht in irgendeiner Weise über soziale Beziehungen bestimmend oder auch als Voraussetzung für diese, dann zieht die zunehmende Vernetzung der modernen Welt zwangsläufig einen Wechsel dieser Beziehungen nach sich. Die Änderungen der Machtformen in unserer Zeit korrespondieren demnach mit den Änderungen in den modernen Beziehungen. Dass Ulrich Weiß (2001: 27f.) von einem "Paradigmenwechsel" in der theoretischen Machtforschung spricht, bestätigt das. Zwar waren nach Weiß "beide Paradigmen" - "Hard und Soft Power" - in der Geschichte immer schon präsent. Es sei demnach nur die "Schwerpunktsetzung in der bewußten Reflexion der Machttheorien auf ihren Gegenstand", der sich geändert habe. Dadurch wird ein Wechsel der Machtmittel sichtbar, der sich durch einen höheren Stellenwert des kommunikativen Kalküls auszeichnet. Die zunehmende Vernetzung hat freilich auch eine zunehmende Interdependenz zwischen den einzelnen Elementen der Gesellschaft zur Folge. Dadurch verändert sich zum einen die Selbstwahrnehmung von Akteuren im Weltgeschehen und das Verständnis der Rollen und der Kompetenzen, die sie sich und anderen zuschreiben. Aber es wird auch ein Wechsel im Machtbegriff selbst evident. Denn er beschreibt heute längst nicht mehr allein die Fähigkeit, einen Machtpartner zu einer bestimmten Handlung oder einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Denn durch die heute vorherrschende Anonymität, wird auch die Bestimmung eindeutiger Beziehungen im Sozialgeschehen immer schwieriger. Anhand der neuen Formen der öffentlichen Kontrolle, die sich dadurch auszeichnen, mit Videoüberwachung und Datenverfolgung die Möglichkeit der fast totalen forensischen Überführung zu suggerieren, wird sichtbar, dass Macht auch in der Herstellung sozialer Realität selbst besteht. Denn diese Überwachung ist längst zu einer Wirklichkeit unserer Welt geworden (und das ungeachtet der tatsächlichen Erfolge, die diese neuen Formen der Ermittlung im Einzelnen haben). In Kurt Röttgers (1990: 54) Begriffsgeschichte der Macht können wir auch eine theoretische Bestätigung für diesen Wandel finden. Er deckt darin eine Ambivalenz des Konzepts auf, die "in der Doppelheit eines Möglichkeitsbegriffs, d.h. eines Modalbegriffs, und eines Vermögensbegriffs, d.h. eines anthropologischen Begriffs" steckt. Macht kann also in beiden Sinnen verstanden werden: als Fähigkeit, soziale Beziehungen in vorrangig repressiver und asymmetrischer Weise zu gestalten, oder als Möglichkeit, die Beziehungen herzustellen, die die soziale Realität ergeben. Die Ambivalenz des Begriffs schlägt sich auch in den Konzeptionslinien nieder, so dass wir hier zum einen von subjekt- bzw. substanzbezogenen oder von strukturbezogenen bzw. relationalen Machtbegriffen sprechen können (vgl. Weiß 1995: bes. 309f.). Beide Denkungsarten weisen unterschiedliche Vorstellung zur Wirkungsweise von Macht auf. Subjekt- oder substanzbezogene Theorien gehen meist von einer unmittelbaren Beziehung in der Machtrelation aus, so dass eine direkte Verfügung des Machthabers über den Unterworfenen besteht. Sie lassen sich daher auf eher mikrosoziale Ausschnitte der Wirklichkeit an-wenden und fokussieren zumeist die Mittel der Machtausübung. Strukturbezogene bzw. realtionale Konzepte richten sich eher auf gesamtgesellschaftliche Konstellationen. Sie argumentieren meist ohne präzise Machtquellen und beschäftigen sich daher vorrangig mit Verschiebungen im Relationengefüge und deren Bedeutung für die soziale Wirklichkeit. Auch eine Verknüpfung beider Denklinien ist möglich. In der Soziologie Pierre Bourdieus ist symbolische Macht das, was eine sozial, kulturell und materiell privilegierte Elite ausübt, und wodurch die Strukturen der Gesellschaft determiniert werden (vgl. hierzu König/Berli 2012). Hier wird der Machtursprung in einer bestimmten Gesellschaftsgruppe mit der symbolischen Diffusion der Macht kombiniert, die dann gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat. Die Ambivalenz des Begriffs kann ebenso als Paradox gefasst werden, das in der gleichzeitig repressiven wie produktiven Wirkungsweise der Macht steckt. So beschreibt Judith Butler (2001) etwa als Subjektivierung jene Prozesse, die zugleich die Formation des Bewusstseins, aber auch die Unterwerfung unter soziale Strukturen bedeuten. Demnach existiert keine kategoriale Trennung zwischen den Machtbegriffen und im Folgenden wird anhand von bedeutenden Machttheorien ver-deutlicht, wie sich eine verschiedenartige Fokussierung der Elemente konzeptionell niederschlägt. Subjekte und Strukturen - Zur modernen Machttheorie Eine besondere Konzeption stellt die absolut subjektbezogene bzw. personalisierte Machtvorstellung dar, nicht allein weil sie einem eher klassischen Bild entspricht, sondern weil sie diejenige Theorie ist, die in den letzten knapp hundert Jahren in der Wissenschaft am meisten Karriere gemacht hat: Webers berühmte Definition ist in keiner signifikanten Studie zum Machtbegriff unberücksichtigt geblieben, gerade weil sich an ihr - ob nun zustimmend oder in kritischer Ablehnung - entscheidende Faktoren des Machtphänomens darstellen lassen (vgl. Brodocz 2013). Weber (1980 [1921]: 28) definiert Macht bekanntlich als "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch g...