Krisen verstehen

eBook - Historische und kulturwissenschaftliche Annäherungen, Eigene und fremde Welten

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593410135
Sprache: Deutsch
Umfang: 357 S., 1.68 MB
Auflage: 1. Auflage 2012
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Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Krisen scheinen ein maßgebliches Kennzeichen der westlichen Moderne zu sein. Die Autoren des Bandes betrachten Krisen aus kulturvergleichender und historischer Perspektive und analysieren sie dabei als soziale Konstrukte, als Wahrnehmungen, Erfahrungen oder auch als Diskurse. Sie zeigen, wie Krisen die Vorstellungen und Strukturen von Gesellschaften rasch und unerwartet von Grund auf verändern können. Und sie machen deutlich, dass jede Krise zugleich auch Ausdruck der Gesellschaft ist, in der sie erscheint.

Autorenportrait

Thomas Mergel ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Leseprobe

Einleitung: Krisen als Wahrnehmungsphanomene

Thomas Mergel

Und plötzlich ist sie ganz weit entfernt, die Krise. Oder doch nicht? Daxund Dow Jones steigen und mit einem Mal bricht die Industrieproduktionder USA im letzten Quartal ein. Die Erleichterung ist groß, dassoffensichtlich die Arbeitslosigkeit im Rahmen bleibt da steht Griechenlandvor der Pleite. Oder Irland. Oder Spanien. Das Rettungspaket könnteuns überfordern, wenn es ernst wird; ist der Euro in Gefahr? Die USAschaffen es nach einem regelrechten Show-Down, die Zahlungsunfähigkeitabzuwenden, aber es ist überdeutlich, dass auch sie über ihre Verhältnisseleben, und dass das Vertrauen der Weltwirtschaft in die größteVolkswirtschaft der Welt erschüttert ist. Deutschland dagegen hat traumhafteWachstumsraten und eine solide Finanzpolitik, und die Expertenerwarten eine Fortsetzung des Booms fur die nächsten Jahre aber andereExperten warnen: Die Schuldenländer könnten auch das deutscheFinanzsystem mit in den Abgrund ziehen. Die Arbeitslosigkeit sinkt auflange nicht gekannte Niedrigstände aber Hunderttausende können vonihrer Arbeit nicht leben: Die neue Armut könnte auf Dauer gestellt werden.Aber da ist plötzlich von einer ganz anderen Krise die Rede: DerFachkräftemangel könnte, so heißt es, die Konjunktur abwürgen. Undüberhaupt: was für die Zukunft offenbar ansteht, ist nicht mehr Arbeitslosigkeit,sondern Arbeitskräftemangel. Jeder morgendliche Blick in dieZeitung schlägt eine neue Seite im Krisenbuch auf.

Die Krise war ganz plötzlich da, so plötzlich, dass man sich fragte, wereigentlich die ganzen Vorwarnsysteme ausgeschaltet habe. Und sie schienebenso plötzlich wieder zu gehen. Vielleicht aber auch nicht, wer weißdas schon? Prognosen über Dauer und Ausmaß wagt keiner. Die Krise beschertuns ein Wechselbad, das vor allem auf eines hinweist: dass sie sichin eine offene Zukunft hinein ereignet, eine Zukunft, die voller Unsicherheit ist. Erst im Nachhinein wird sich die Kontingenz dieser Erfahrung als innerer Zusammenhang sehen lassen. Im Moment der Krise ist allesHandeln von der Unsicherheit der Frage nach Richtig oder Falsch. Früherhaben die Deutschen in Zeiten der Krise gespart, und damit die Chance,mithilfe des Konsums der Krise Herr zu werden, vergeben. Heute konsumierensie wacker gegen die Krise an. Aber vielleicht wird sich in Kürzeherausstellen, dass das auch wieder falsch war.

Allen Steuerungsphantasien, aller zahlengestutzten Prognostik zumTrotz: Die Krise erweist die Kontingenz gesellschaftlicher Prozesse. Siemacht die Fragilitat sozialer Konstruktionen offenbar. In solchen Momentenstehen Gesellschaften in ihren Selbstbildern und ihren Institutionenplötzlich vor neuen Fragen, und sie brauchen schnelle Antworten. Freilich,man kann aus Krisen lernen, und eine historische Untersuchungdieses Lernens würde sicher erweisen, dass dieser Mechanismus bis zueinem bestimmten Grad auch funktioniert. Dennoch: die Sehnsucht,durch Techniken, die aus früheren Krisen gelernt haben, »am Ende allerKrisen« zu stehen, wird immer wieder enttäuscht; jede Krise ist auf ihreWeise neu.

Diese Beobachtungen haben uns dazu bewegt, für die folgenden Beiträgedie Frage in den Mittelpunkt zu stellen, was mit Gesellschaften und das meint immer: was mit der Selbst- und der Fremdbeobachtung vonGesellschaften in solchen Zeiten des schnellen Wandels geschieht. Wieim Umgang mit solchen Umbrüchen die Gesellschaften, ihre Prozedurenund Kommunikationsroutinen, ihre Bilder von sich selbst sich verändern.Wie aber vielleicht auch umgekehrt die Krise selber eine Funktion ihrerjeweiligen Gesellschaft ist, denn es scheint, als ob moderne, westliche Gesellschaftenspezifische Formen von Krise ausgebildet haben, die sich vonvormodernen oder von nichtwestlichen Krisen unterscheiden. Es fällt auf,dass der Begriff immer mit einem Ausnahmezustand konnotiert ist.

Andererseits überrascht die Krise als Ereignis, so unvermutet sie auchhereinbricht, uns nicht wirklich, weil man sich daran gewöhnt, dass esperiodisch dazu kommt. Der Krise haftet mithin eine gewisse Normalitätan; Krise ist offenbar mehr oder weniger immer. Allerdings scheint esKonjunkturen zu geben, Zeiten, für die das K-Wort sich mehr anbietetals für andere. So sind in der historischen Forschung bestimmte Übergängeals Krisen bezeichnet worden, die in engem Zusammenhang mitdem Moderne-Konzept stehen, etwa die Heraufkunft des industriellenKapitalismus und die Übergänge aus der frühmodernen Gesellschaft desVerlagskapitalismus und der Handwerkskrise. Oder die Übergänge voneinem industriegesellschaftlichen Regime zum anderen, etwa vom freienzum organisierten Kapitalismus im Umfeld der großen Depression seitden 1870er Jahren. Oder die Weltwirtschaftskrise und dem Übergangzum fordistischen Regime. Die Krise der Weimarer Republik war ebensogeläufig wie die Krise des Ancien Regime im Vorfeld der FranzösischenRevolution, die Krise des Spätmittelalters oder die Frage nach den Krisenherdendes Deutschen Kaiserreichs. Krise war hier ein Begriff, der den erfahrungsgeschichtlich rapiden Umbruch von einem mehr oder minderstabilen Regime zum anderen beschrieb. Ziemlich deutlich hatte dieserKrisenbegriff des schnellen Übergangs einen politischen, ökonomischenund sozialgeschichtlichen Charakter. Wenn man allerdings genau genughinsah, dann erwies sich ein langer Vorlauf ebenso wie eine lange Nachgeschichte,Überlappungen von politischer und ökonomischer Krise zeigtensich, schließlich auch, mit der Konjunktur von Alltags-, Erfahrungs- undKulturgeschichte, die Krisen des Subjekts, des bürgerlichen Individuumsoder der Geschlechterkonstruktionen. Kurz: wenn man genauer hinblickte,war Krise auch im 19. Jahrhundert immer. War das so anders als heute?

Inhalt

InhaltEinleitung:Krisen als Wahrnehmungsphänomene...................................................9Thomas MergelTheoretische Zugange zur KriseEinführung..........................................................................................25Andreas WeisBausteine eines soziologischen Krisenverständnisses:Rückblick und Neubetrachtung ..........................................................29Raimund HasseDer Krisenbegriff der modernen Ökonomie ........................................47Alexander NutzenadelJenseits des Dualismus von Wandel und Persistenz?Krisenbegriffe der Sozial- und Kulturanthropologie.............................59Stefan Beck und Michi KnechtKrisengesellschaften?Einführung..........................................................................................79Tsypylma Darieva»Only Bad News from Radio Africa«:Das nachkoloniale Afrika als Kontinent in der Dauerkrise...................83Andreas EckertKrise, Katastrophe und soziale Ordnung:Der Bürgerkrieg in Afghanistan...........................................................99Conrad SchetterDie Krise als Topos im modernen China ...........................................117Dominic SachsenmaierEuropa in der Krise:Zivilisationskrise Integrationskrise Krisenmanagement................131Hartmut KaelbleGesellschaften ohne Krisen?Einführung........................................................................................147Daniel HedingerWenn man das Ende schon kennt:Das Mittelalter krisenfeste Geschichte?...........................................151Jan RüdigerGesellschaften ohne Krise?Der Staatssozialismus ........................................................................165Christoph BoyerKritik als Krise oder warum die Sowjetunion trotzdem unterging......177Jörg BaberowskiKrise der »natürlichen« Ordnungen: Körper und GeschlechtEinführung........................................................................................199Annelie Ramsbrock»A man is not a man without work«:Von Wirtschaftskrisen und arbeitslosen Familienväternin den 1930er Jahren.........................................................................203Jürgen MartschukatEnde der Geburt?Die Technisierung der Fortpflanzung zwischen Kriseund Naturalisierung ..........................................................................217Barbara OrlandDie Sprache der Krise Die Krise der SpracheEinführung........................................................................................237Lena GautamKrise und Sprache:Theoretische Anmerkungen...............................................................241Heidrun KämperKritik und Krise:Politische Sprachkritik und Krisendiskurse in den 1970er Jahren ......257Martin H. GeyerWortwelten und Sprachspiegelungen:Ein Vergleich der öffentlichen Diskurse zur Asienkrise199798 und zur heutigen Weltwirtschaftskrise ................................275Vincent HoubenEpistemische KrisenEinführung........................................................................................293Christiane ReineckeDie 1968er Bewegung und das Paradigma der Selbstorganisation......297Wolfgang KrohnL' état de crise:Normenbegründung in der Moderne eine Skizze............................315Thomas GutmannAusblickKassandras Melancholie und die Konstruktionvon Gemeinschaftlichkeit ..................................................................331Bernhard GiesenAutorinnen und Autoren...................................................................349

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