Leben in Ost- und Westdeutschland

Eine sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990-2010

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593393339
Sprache: Deutsch
Umfang: 796 S.
Format (T/L/B): 4.7 x 22.8 x 15.3 cm
Auflage: 1. Auflage 2010
Einband: Paperback

Beschreibung

Hat Deutschland zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer seine Trennung überwunden? Ist "zusammengewachsen, was zusammengehört"? In diesem Band versuchen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler diese umstrittene Frage mithilfe empirischer Vergleiche der Entwicklung der Lebensbedingungen und -verläufe in Ost und West zu beantworten. Der Aufbau orientiert sich an den typischen Phasen des Lebensverlaufs: Kindheit, Jugend, Erwachsensein, Altern. Er beleuchtet Aspekte wie Schule und Bildung, Partnerschaft und Familie, Arbeitsmarkt und Erwerbsleben, Lebensstandard und Konsumstile, Zufriedenheiten und Sorgen, soziale Integration und politische Beteiligung. Eine wesentliche Grundlage der empirischen Bilanzierung bildet das SOEP, eine national und international vielfach ausgewertete Längsschnitterhebung, die seit 1984 (zunächst nur in Westdeutschland) jährlich bei denselben Personen und Haushalten durchgeführt wird und 1990 auch auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt wurde. Zudem werden mehr als 20 weitere sozialwissenschaftliche Datenquellen herangezogen.

Autorenportrait

Peter Krause, Dr. rer. soc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin. Ilona Ostner, Dr. phil., ist Professorin für Vergleichende Sozial- politik an der Georg-August-Universität Göttingen.

Leseprobe

Einleitung: Was zusammengehört Eine sozialwissenschaftliche Bilanzierung des Vereinigungsprozesses Peter Krause und Ilona Ostner 1. Ausgangspunkt und Anliegen des Bandes Willy Brandt war sich im November 1989 sicher, dass zusammenwachsen würde, was seiner Ansicht nach nun zusammengehörte. Völlig fremd waren sich die beiden Deutschlands nicht geworden, teilten sie doch immer noch Geschichte, Sprache und Kultur. Sechzehn Jahre später stellt Klaus Schroeder (als einer von vielen) fest, "dass das Zusammenwachsen keineswegs reibungslos geglückt ist". Ost- und Westdeutsche seien sich häufig fremd geblieben, auch mangele es an einem gemeinsamen Selbstverständnis, wer "wir sind und was wir wollen" (vgl. Schroeder 2006: 617). Die deutsche Einheit, der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vor 20 Jahren, stellte einen "schlagartigen Systemwechsel" dar, der durch die Übernahme aller grundlegenden politisch-institutionellen, rechtlichen und wirtschaftsordnungspolitischen Regelungen, einschließlich der Währung und der Arbeitsmarktordnung, sowie der westdeutschen Sozialstaatlichkeit gekennzeichnet war (Lutz 1994; Hauser 1995). Mit dem Systemwechsel, stellte Richard Hauser bald nach der Wende fest, wurde "notwendigerweise ein langanhaltender Transformationsprozeß in Gang gesetzt", in dessen Verlauf sich nicht nur die Wirtschafts- und Sozialordnung, sondern "jeder einzelne an die neuen Rahmenbedingungen anpassen muß[te]" (Hauser 1995: 463). Trotz aller Hilfen würden, so die naheliegende Vermutung Hausers, nicht alle Bürger diese Anpassungsleistung in gleicher Weise erbringen können (ebd.). Soziale und wirtschaftliche Auf- und Abstiege, neue, ganz anders gelagerte soziale Ungleichheiten waren erwartbar, auch weil in der DDR Lebensbedingungen und Lebenschancen deutlich weniger ungleich waren als in der Bundesrepublik. Detlef Pollack (1991: 454) sprach von der "individuellen Tragödie" als einem sich abzeichnenden ostdeutschen "Massenphänomen". Sie sollte darin bestehen, dass viele Ostdeutsche, DDR-"enkulturiert" und -sozialisiert, nicht ausreichend auf die conditio humana der westlichen Risikogesellschaften, auf Risikoübernahme und Scheiternkönnen, vorbereitet waren. In der "Organisationsgesellschaft" der DDR hatten sie kaum gelernt, sich auf ein Scheitern einzustellen und Risiken einzugehen, ohne sich dann im Falle des Scheiterns aufzugeben (ebd.). Daher erwartete auch Pollack langwierige Anpassungsprozesse und zwar vor allem mentaler Art. Die Langwierigkeit dieses Prozesses mentaler Anpassung sollte sich, so Pollack schon 1991, in einer mangelnden Akzeptanz der neuen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung äußern. Zu dieser mangelnden Akzeptanz habe die Rücksichtslosigkeit beigetragen, mit der die westlichen Institutionen übertragen und einseitige Anpassung erwartet wurden (vgl. dazu Lutz 1994; ferner Ritter 2006). Dabei fand die "institutionelle Inkorporation" selbst in den Bereichen statt, in denen die DDR modern erschien (Pollack 1991: 452) und "durchaus modernere Institutionen anzubieten hatte als die alte Bundesrepublik" (Mayer 1994: 308) - zum Beispiel bei den ambulanten medizinischen Diensten, bei der Integration allgemeiner und beruflicher Bildung, bei der Frauenerwerbstätigkeit und der institutionellen Kinderbetreuung, um nur einige zu nennen. Wie haben sich nun nach der Vereinigung die Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland verändert? In welchen Lebensbereichen ist bereits eine Angleichung erfolgt und wo bestehen unterschiedliche Lebensbedingungen weiter fort? Wie unterscheiden sich Haushaltsformen und Familienstrukturen? Ist bei den objektiven Bereichen Arbeit und Lebensstandard eine Angleichung der Lebenschancen erfolgt und inwieweit divergieren noch Einstellungen und Werte, die auch die Bewertungen in Form von Zufriedenheiten und Sorgen der Lebensumstände bestimmen? Welche Bedingungen zeichnen sich für die nachfolgenden Kohorten ab, die nach der Vereinigung geboren und aufgewachsen sind? Schließlich: Inwieweit ergeben Ost-West-Betrachtungen überhaupt noch Sinn? Sollten wir nicht besser bei den sozialwissenschaftlichen Analysen von regionalen Disparitäten ausgehen und auf eine Darstellung der Ost-West-Unterschiede ganz verzichten? Der vorliegende Band soll die Entwicklung der Lebensbedingungen in beiden Landesteilen seit der Vereinigung zum Thema haben und in wesentlichen Teilen komparativ empirisch (mit SOEP-Daten und andere) angelegt sein. Die Längsschnitterhebung des Sozio-oekonomischen Panels, die seit 1984 (zunächst nur in Westdeutschland) unter dem Titel "Leben in Deutschland" jährlich bei denselben Personen und Haushalten durchgeführt wird (Wagner u.a. 2008), konnte bereits im Juni 1990 - noch vor Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (am 1. Juli 1990) und noch vor der Vereinigung selbst (am 3. Oktober 1990) - auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt werden. Folglich lassen sich mit dieser national und international vielfach ausgewerteten Datenquelle individuelle Anpassungsprozesse und Lebensverläufe seit der Einheit detailliert abbilden. Neben dem SOEP existieren auch andere Datenquellen, die im vorliegenden Band herangezogen werden, um den Vereinigungsprozess mit sozialwissenschaftlichen Daten und Methoden zu bilanzieren. Wir haben den Aufbau des Bandes in erster Linie an den Stationen im Lebensverlauf ausgerichtet. Der Band ist in vier Kapitel gegliedert: Kapitel I leitet nach der Einleitung durch vier inhaltlich unterschiedlich gelagerte Überblicksartikel in das Leitthema der sozialwissenschaftlichen Bilanzierung des Vereinigungsprozesses ein. Das Kapitel II folgt in fünf Schritten dem Lebensverlauf, mit jeweils vergleichenden Betrachtungen zu jeder Lebensphase. An dieses große inhaltliche Kapitel schließt ein weiteres inhaltliches an (Kapitel III), das lebenslaufübergreifende Querschnittsthemen zu vier Bereichen enthält. Den Abschluss des Bandes bildet ein forschungspraktischer Teil (Kapitel IV) zum Stand der sozialwissenschaftlichen Datenquellen, die für die komparative Ost-West-Lebensverlaufsforschung zur Verfügung stehen. Die Struktur des Buches soll also die inhaltlich gut begründbare lebenszyklisch-vergleichende Betrachtung der Lebensbedingungen in Ost und West betonen und durch entsprechende Beiträge einlösen.

Inhalt

Inhalt 1 Einleitung: Was zusammengehört ... Eine sozialwissenschaftliche Bilanzierung des Vereinigungsprozesses Peter Krause und Ilona Ostner11 I Einleitung und Bilanzierung 2 Lebensverläufe im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Karl Ulrich Mayer und Heike Solga39 3 "Nahblick" und "Weitblick" Erste Schritte zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern und frühe Prognosen Richard Hauser57 4 Gerechtigkeitsvorstellungen in Ost- und Westdeutschland im Wandel: Sozialisation, Interessen, Lebenslauf Bernd Wegener und Stefan Liebig83 5 Psychologie der Wiedervereinigung Bilanz der Lebensbedingungen in Ost und West Frieder R. Lang und Jenny Wagner103 II Stadien im Lebensverlauf Lebensbeginn, Kindheit und Jugend 6 Familienformen und Lebensbedingungen in Ost und West Zur sozioökonomischen Lage von Müttern in Deutschland, Frankreich und Russland Dirk Konietzka und Michaela Kreyenfeld123 7 Lebensbedingungen von Kindern in Ost- und Westdeutschland Norbert Schreiber145 8 (Wieder-)Vereinigung der Jugend? Lebensbedingungen und Zukunftserwartungen ost- und westdeutscher Jugendlicher nach der Wende Sabine Keller und Carina Marten161 Erwachsenwerden - Partnerschaft und Mating 9 Gelegenheiten des Kennenlernens Der Partnermarkt in Ost- und Westdeutschland Thomas Klein, Johannes Stauder und Armando Häring187 10 Die ost-westdeutsche Partnerwahl Wanderungen, Vorurteile, Wohlstandsunterschiede Wiebke Rösler211 11 Die Bedeutung von Geschlechterarrangements für Partnerschaftsdauer und Ehestabilität in Ost- und Westdeutschland Christian Schmitt und Heike Trappe227 Lebensmitte - Arbeitsmarkt und berufliche Integration 12 Erwerbschancen und Arbeitsmarktintegration im wiedervereinigten Deutschland Johannes Giesecke und Roland Verwiebe247 13 Die Abwanderung Arbeitsloser von Ost- nach Westdeutschland Zur "institutionellen Bindewirkung" des Wohlfahrtsstaates Michael Windzio277 14 Armut von Erwerbstätigen in Ost- und Westdeutschland Die Bedeutung von niedrigen Löhnen und unterschiedlichen Erwerbsmustern Henning Lohmann und Marco Gießelmann299 15 Wochenarbeitszeiten: Wunsch und Wirklichkeit nach der deutschen Vereinigung bis 2008 Elke Holst313 Übergänge in den Ruhestand 16 Berufliche Übergangssequenzen in den Ruhestand Tanja Zähle und Katja Möhring331 17 Angleichung oder zunehmende Ungleichheit? Alterseinkünfte in den alten und neuen Bundesländern Dina Frommert und Ralf K. Himmelreicher347 18 Das Altersarmutsrisiko von Beziehern des Arbeitslosengelds II im Ost-West-Vergleich Christina Wübbeke369 Altern und Lebensende 19 Altern und Alter in Ost und West Zur Entwicklung der Lebensqualität alternder und alter Menschen seit der Vereinigung Andreas Motel-Klingebiel, Julia Simonson und Clemens Tesch-Römer387 20 Binnenwanderung und individuelles Alternserleben in Ost und West Jenny Wagner, Margund K. Rohr und Frieder R. Lang411 21 Lebenszufriedenheit am Ende des Lebens in Ost- und Westdeutschland: Die DDR wirft noch einen langen Schatten Denis Gerstorf und Gert G. Wagner429 III Lebensbedingungen im Lebensverlauf Lebensstandard und Soziale Inklusion 22 Lebensqualität im sozialen Bundesstaat Subjektive Indikatoren für Ost- und Westdeutschland 1990-2008 Wolfgang Glatzer und Ruth Hasberg445 23 Ost-West-Angleichung von Einkommen und Zufriedenheit im Lebenszyklus Jan Goebel, Roland Habich und Peter Krause463 24 Die personelle Vermögensverteilung in Ost- und Westdeutschland nach dem Mauerfall Joachim R. Frick und Markus M. Grabka493 25 Lebensstandard und Deprivation in Ost- und Westdeutschland Hans-Jürgen Andreß, Bernhard Christoph und Torsten Lietzmann513 Soziale Int ...