Beschreibung
Gesellschaftliche Ungleichheit wurde lange Zeit vor allem anhand von 'Klasse' thematisiert. Inzwischen hat sich der Fokus um andere Konfliktlinien erweitert. In diesem Band werden die unterschiedlichen Relationen von Ungleichheit in den Dimensionen von Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt und in einen gesellschaftstheoretischen Horizont gestellt. Mit Beiträgen von Brigitte Aulenbacher, Regina Becker-Schmidt, Mechthild Bereswill, Hans- Jürgen Bieling, Wolfgang Gabbert, Christoph Görg, Sabine Hark, Lars Kohlmorgen, Helga Krüger, Sybille Küster, Helma Lutz, Shalini Randeria, Markus Schroer und Thomas Schwinn.
Autorenportrait
Cornelia Klinger ist ständiges wissenschaftliches Mitglied am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Gudrun-Axeli Knapp ist Professorin für Soziologie an der Universität Hannover. Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Leseprobe
Die paradoxe Gleichzeitigkeit von Prozessen sozialer Entbettung und neuen Formen der Raum-Zeit-Verdichtung ist in vielen Zeitdiagnosen registriert worden. Damit verändern sich nicht nur die gesellschaftlichen Konstellationen, in denen unterschiedliche Formen der Ungleichheit hervorgebracht und fortgeschrieben werden, sondern auch die Vergleichshorizonte ihrer Wahrnehmung, Politisierung und Regulierung. Vor allem die nationalstaatlich verengte Axiomatik der Ungleichheitsdiskussion wurde in diesem Zusammenhang wieder zu einem heiß diskutierten Thema. Zwar war der Begriff des "methodologischen Nationalismus" schon 1974 von Herminio Martins (Martins 1974) geprägt worden, aber seine schnelle Verbreitung in der jüngeren Diskussion deutet darauf hin, dass wir es in der Tat mit der Öffnung von Horizonten und der gleichzeitigen Erosion der Stützpfeiler eines wirksamen Wahrnehmungsdispositivs aus den Gründerjahren der Sozialwissenschaften zu tun haben. Die intensivierte Reflexion auf die Sichtschatten, die mit unseren Begriffen und Theorien einhergehen, ist nicht nur Indikator innerwissenschaftlicher Lern- und Abarbeitungsprozesse, sondern auch Reflex einer Erschütterung überkommener Gewissheiten durch Veränderungen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die Drift zwischen gesellschaftlichen Umbruchsprozessen und den Analysemitteln, mit denen wir diese zu begreifen suchen, wird in allen Fächern, in fast allen Theorietraditionen und mit Blick auf viele Gegenstandsbereiche registriert, insbesondere aber in der auf Gesellschaftsanalyse spezialisierten Disziplin der Soziologie und deren Kernbereich, der Ungleichheitstheorie und -forschung. Für uns ist die Erschütterung von Gewissheiten, so verunsichernd und gelegentlich auch schmerzhaft sie sein mag, nicht nur eine unumgehbare und ernste Herausforderung. Wir sehen in ihr auch eine Situation, in der sich ein Interesse, eine Lust am offenen Austausch wiedergewinnen lässt, die in Zeiten theoretischer Schließungen und unter dem zunehmenden Konkurrenz- und Zeitdruck im Wissenschaftsfeld systematisch entmutigt werden. Unter dem Eindruck der auf globalem Maßstab explodierenden gesellschaftlichen Probleme mehren sich in den drei Wissenschaftsbereichen, in denen unser Thema hauptsächlich verhandelt wird - das heißt in der Gesellschaftstheorie, in der Ungleichheitssoziologie und in jenen Forschungsrichtungen, die sich jeweils auf eine der Kategorien Klasse, "Rasse"/Ethnizität und Geschlecht konzentrieren - die Anzeichen dafür, dass die mit einem Übermaß an Spezialisierung verbundenen Einbußen an Analysefähigkeit selbstkritisch reflektiert werden. Drei Aspekte werden dabei im Rückblick auf die Diskussionen der vergangenen Jahre hervorgehoben: Zum einen gelte es, neben dem Wandel in den Erscheinungs- und Wahrnehmungsformen sozialer Ungleichheit auch strukturelle Kontinuitäten wieder stärker in den Blick zu rücken. Zweitens gehe es um die systematische theoretische Integration unterschiedlicher Strukturgeber von Ungleichheit. Last but not least gehe es darum, Ungleichheit gesellschaftstheoretisch einzubetten. Dazu ist es nötig, die Arbeitsteilung zwischen Gesellschaftstheorie und Ungleichheitstheorie zu überwinden.
Inhalt
Einführung Gudrun-Axeli Knapp, Cornelia Klinger, Birgit Sauer Achsen der Ungleichheit - Achsen der Differenz: Verhältnisbestimmungen von Klasse, Geschlecht, "Rasse"/Ethnizität Cornelia Klinger, Gudrun-Axeli Knapp Vom fordistischen Wohlfahrts- zum neoliberalen Wettbewerbsstaat: Bewegungen im gesellschaftlichen Gefüge und in den Verhältnissen von Klasse, Geschlecht und Ethnie Brigitte Aulenbacher "Class", "gender", "ethnicity", "race": Logiken der Differenzsetzung, Verschränkungen von Ungleichheitslagen und gesellschaftliche Strukturierung Regina Becker-Schmidt Undurchsichtige Verhältnisse: Marginalisierung und Geschlecht im Kontext der Männlichkeitsforschung Mechthild Bereswill Die neue politische Ökonomie sozialer Ungleichheit Hans-Jürgen Bieling Vom (internen) Kolonialismus zum Multikulturalismus - Kultur, Ethnizität und soziale Ungleichheit Wolfgang Gabbert Räume der Ungleichheit: Die Rolle gesellschaftlicher Naturverhältnisse in der Produktion globaler Ungleichheiten am Beispiel des Millennium Ecosystem Assessments Christoph Görg "Überflüssig": Negative Klassifikationen - Elemente symbolischer Delegitimierung im soziologischen Diskurs? Sabine Hark Klasse, Geschlecht, Regulation - Ein integraler Ansatz der Sozialstrukturanalyse Lars Kohlmorgen Geschlechterungleichheit verstimmt: Institutionalisierte Ungleichheit in den Verhältnissen gesellschaftlicher Reproduktion Helga Krüger Staatsangehörigkeit in Deutschland: Historische Aspekte der Nationalisierung und Ethnisierung von "Fremdheit" Sybille Küster "Die 24-Stunden-Polin" - Eine intersektionelle Analyse transnationaler Dienstleistungen Helma Lutz Staatliche Interventionen, Bevölkerungskontrolle und Gender: Indien und China im Vergleich Shalini Randeria Defizitäre Reziprozität: Der Raum der Überflüssigen und ihr Kampf um Aufmerksamkeit Markus Schroer Komplexe Ungleichheitsverhältnisse: Klasse, Ethnie und Geschlecht Thomas Schwinn Autorinnen und Autoren
Schlagzeile
Politik der Geschlechterverhältnisse Herausgegeben von Cornelia Klinger, Eva Kreisky, Andrea Maihofer und Birgit Sauer>