Herrschaft und Heil

Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446198661
Sprache: Deutsch
Umfang: 344 S.
Format (T/L/B): 3 x 22.6 x 14.5 cm
Einband: Leinen

Beschreibung

Der renommierte Ägyptologe Jan Assmann über die politische oder theoretische Legitimation von Herrschaft. Wie seine Studien zu den Wurzeln der Religionen Ägyptens und Israels zeigen, fanden die Staaten- und Rechtsbildungen vor der Entwicklung der religiösen Weltbilder statt. Fundamentale Prinzipien wie Gerechtigkeit, Macht, Solidarität, Schuld, Gesetz und Recht wurden zuerst im Politischen umgesetzt, bevor sie ins Religiöse und Theologische transformiert wurden.

Autorenportrait

Jan Assmann, geboren 1938, Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidelberg, Professor für Allgemeine Kulturwissenschaft und Religionstheorie an der Universität Konstanz und Ehrendoktor mehrerer Universitäten. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Deutscher Historikerpreis (1998), Thomas-Mann-Preis (2011), Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (2016), Karl-Jaspers-Preis (2017, mit Aleida Assmann), Balzan Preis (2017, mit Aleida Assmann), Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2018, mit Aleida Assmann). Im Carl Hanser Verlag erschienen: Ägypten (1996), Moses der Ägypter (1998), Herrschaft und Heil (2000), Mosaische Unterscheidung (2003) und Die Zauberflöte. Oper und Mysterium (2005).

Leseprobe

I
Was heißt Politische Theologie?

"Es heißt die Einheit der Welt verkennen", schreibt Thomas Mann im vierten Teil seiner Romantetralogie Joseph und seine Brüder, "wenn man Religion und Politik für grundverschiedene Dinge hält, die nichts miteinander zu schaffen hätten noch haben dürften. (. . .) In Wahrheit tauschen sie das Gewand (. . .) und das Weltganze ist es, wenn eines des anderen Sprache spricht." Die Menschen bewohnen nicht nur verschiedene Länder, sondern auch verschiedene Sinnwelten, und diese symbolischen Universen gewinnen sichtbare, dauerhafte und verpflichtende Form sowohl in den Institutionen der politischen Herrschaft und Gemeinschaft, als auch in denen der religiösen Ordnung. Je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto schwerer wird es, zwischen religiösen und politischen Institutionen zu unterscheiden. Der römische Gelehrte Varro, der dem Abendland den Begriff der "Politischen Theologie" überliefert hat, stellte geradezu fest, daß die Anfänge der staatlichen Einrichtungen mit dem Ursprung der Religion identisch sind.
Politische Theologie hat es mit den wechselvollen Beziehungen zwischen politischer Gemeinschaft und religiöser Ordnung, kurz: zwischen Herrschaft und Heil zu tun. Politische Theologie entsteht dort, wo solche Probleme in Formen verhandelt werden, die die Götter bzw. Gott einbeziehen. Dabei lassen sich zwei Aspekte Politischer Theologie unterscheiden. Die eine fragt nach den theologischen Implikationen des Politischen (worunter in dieser Studie grundsätzlich sowohl die "vertikale" Dimension der Herrschaft als auch die "horizontale" Dimension der Gemeinschaft verstanden wird), die andere nach den politischen Implikationen des Theologischen. Zur Politischen Theologie gehören also sowohl Diskurse über Herrschaft und/oder Gemeinschaft, die nicht ohne (explizite oder implizite) Bezugnahmen auf Gott oder die Götter auskommen, als auch Diskurse über Gott oder die Götter, die die Sphäre der vertikalen bzw. horizontalen Strukturen der Menschenwelt einbeziehen. [...]

[...]Wenn man unter "Politischer Theologie" Konzeptionen einer Beziehung zwischen religiöser und politischer Ordnung versteht, dann lassen sich drei Grundformen politischer Theologie bestimmen:
Dualismus: die kategorische Unterscheidung und institutionelle Trennung von religiöser und politischer Ordnung und Führerschaft, z. B. der Dualismus von Staat und Kirche im Abendland, oder der Dualismus von Kshatriya und Brahmanen im klassischen Indien.
Theokratie: die Unterordnung bis Abschaffung politischer Führerschaft zugunsten reiner Gottesherrschaft; das klassische Beispiel hierfür ist das antike Judentum (der Begriff Theokratie wurde von Josephus Flavius für die jüdische Lösung geprägt); die Grenzen zwischen "identitärer" und "repräsentativer" Theokratie sind allerdings fließend, und damit auch die Grenzen zwischen "Theokratie" und "Repräsentation".
Repräsentation: die Korrelation göttlicher und politischer Herrschaft in Form der Analogie und die daraus folgende Vereinigung politischer und religiöser Führerschaft in der Hand des irdischen Repräsentanten. Ein Beispiel hierfür wäre der abendländische und insbesondere der byzantinische Cäsaropapismus, aber auch im weiteren Sinne alles, was etwa von Erik Peterson unter Politischer Theologie verstanden wird, also nicht die Beziehung zwischen, sondern die Einheit von Herrschaft und Heil.
Was ist mit dieser Archäologie der politischen Theologie gewonnen? Die Sprengung des abendländischen Horizonts legt den Blick frei auf ein noch weitgehend unerforschtes Terrain: auf die Ethnologie, Anthropologie, Archäologie und Religionsgeschichte der politischen Ordnungen und ihrer Beziehung zu Vorstellungen jenseitiger Ordnung, auf die Beziehung von Herrschaft und Heil in den verschiedenen Kulturen der Erde. In meinen Augen handelt es sich hier um eine der aktuellsten, wichtigsten und offensten Fragen der Kulturwissenschaft ... Leseprobe