Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442734078
Sprache: Deutsch
Umfang: 334 S.
Format (T/L/B): 2.6 x 18.7 x 11.9 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

In einem kleinen verschlafenen Dorf in Schweden herrscht Idylle pur. Mauritz träumt von der großen weiten Welt und der hübschen Nachbarstochter Signhild. Heimlich beobachtet er sie und realisiert dabei zu spät, dass eine dunkle Gestalt um ihr Haus schleicht. Doch dann geschieht etwas, das die Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert: Der Uhrmacher Kekkonen, ein mürrischer, wortkarger Mann, wird im ehelichen Schlafzimmer brutal ermordet aufgefunden. Wer war der Täter? Etwa jemand aus dem Dorf?

Autorenportrait

Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der interessantesten und aufregendsten Krimiautoren Schwedens. Für seine Kriminalromane um Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in mehrere Sprachen übersetzt und wurden erfolgreich verfilmt. Daneben schreibt er Psychothriller, die in ihrer Intensität und atmosphärischen Dichte an die besten Bücher von Georges Simenon und Patricia Highsmith erinnern. "Kim Novak badete nie im See von Genezareth" oder "Und Piccadilly Circus liegt nicht in Kumla" gelten inzwischen als Klassiker in Schweden, werden als Schullektüre eingesetzt, und haben seinen Ruf als großartiger Stilist nachhaltig begründet. Håkan Nesser lebt mit seiner Frau in Stockholm und auf Gotland.

Leseprobe

Viel später Die Zeit ist ein Dieb. Sie stiehlt unser Leben. Frisst unsere Tage, wie man behaupten könnte, und verschlingt unsere Nächte. Stunde für Stunde, Minute für Minute. Menschen, Augenblicke, Geheimnisse. Ganz hinten in meiner unordentlichen Schreibtischschublade, der mittleren, die ich nie leere, sondern immer nur fülle, da bewahre ich seit vielen Jahren einen Daumen auf. Er liegt in seiner geheimnisvollen Einsamkeit zwischen Bleistiftstummeln, alten Quittungen, verbrauchten Olivettifarbbändern, Gummibändern, Büroklammern und Papierschnipseln, und er gehörte einmal einem deutschen Soldaten. Vielleicht werde ich davon berichten. Ja, wenn es so läuft, wie mir schwant, dass es laufen muss, werde ich es natürlich tun. Ob ich nun will oder nicht. Ich hole ihn heute Abend hervor, den Daumen, es ist jetzt schon lange her, und ich sitze mit ihm auf dem Balkon und blicke über den Sund. In drei Stunden geht der Zug, ich habe noch Zeit, eine Weile den Sonnenuntergang zu betrachten. Vielleicht ist es trotz allem möglich, das wieder zurückzuerobern, was uns genommen wurde, vielleicht ergibt sich für mich die Gelegenheit, den Dieb zu bestehlen. Warum nicht? Ihm nützt die Beute doch nichts, wir selbst sind diejenigen, die die Verantwortung übernehmen müssen. Das Vergangene und das, was uns geraubt wurde, hervorholen müssen. Ich selbst, genauer gesagt, warum sich hinter einem wir verstecken? Aber fünfunddreißig Jahre sind eine ganz schön lange Zeit, da kann viel auf der Strecke bleiben. Doch eine nächtliche Zugreise ist natürlich genau das richtige Tor zu den Erinnerungen. Seit das Rattern der Schienenstöße aufgehört hat, kann ich gar nicht mehr schlafen. Und die Schlaflosigkeit an sich kann schon die Diktatur des Heute und des gerade Existierenden vom Sockel stoßen, das ist keine neue Erkenntnis. Ich schaue über den Sund und die Brücke. Erinnere mich und denke nach. Zunächst rief er an, dann sie. Nur eine Stunde später. Er hatte es bereits angekündigt, aber es war merkwürdig, ihre Stimme zu hören. Hab nicht mehr viel Zeit, sagte er. Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du vorbeischauen könntest. Da ist noch was. Du kommst doch?, fragte sie ihrerseits. Es ist wichtig. Nach all diesen Jahren ist es plötzlich ganz eilig und wichtig. Warum eigentlich? Ich komme, sage ich. Natürlich komme ich, aber was will er von uns? Sie sagt, das wisse sie nicht. Ich meine, herauszuhören, dass sie lügt. Meine, noch etwas anderes herauszuhören, das ich nicht richtig fassen kann. Wo wohnst du? Von wo aus rufst du an? Aus Lulea. Das sind mehr als tausend Kilometer, und wir wollen uns in der Mitte treffen. In der Universitätsstadt, ich habe dort selbst einige Jahre in den Siebzigern gelebt. Kann mich noch an einiges erinnern. An ein Schloss. Einen Bach. Eine Frau, die B. hieß. Dann bis morgen früh!, sagt sie. Klingt plötzlich fast ängstlich. Um 7.50 Uhr, sage ich. Dann kommt mein Zug an. Ich bin da und hole dich ab, sagt sie. Ich schlafe nicht. Auf der unteren Pritsche liegt ein riesiger Kerl und sägt Baumstämme. Er schläft für uns beide. Ich habe ein Buch dabei, aber ich lese nicht. Habe genug Gedanken für eine halbe Menschheit. 00.42 Hässleholm. 01.34 Alvesta. Die Zeit ist ein Dieb, und ich habe Witterung aufgenommen. Die nächtlichen Minuten ticken rückwärts, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bald sind wir da. Bald haben wir die Linsen auf die richtige Entfernung eingestellt. Aber was will er von uns? Von mir und von ihr? Liegt er wirklich im Sterben? Und wenn es schon vorbei ist, wenn wir ankommen? Dieser neuen Frau möchte ich wirklich nicht begegnen. Unter keinen Umständen und schon gar nicht unter diesen hier. Quatsch. Unnötige Befürchtungen. Er hat versprochen, sie da rauszuhalten, und natürlich lebt er noch einen Tag länger, aus reiner Willenskraft, das macht doch jeder. Ich verspüre ein gewisses Unbehagen, wie vor einem bevorstehenden Fiasko. Eine Kapitulation. Begreife eigentlich nicht so recht, warum. Ich versuche, n Leseprobe