Die Erfindung von Liebe und Tod

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783312003228
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 21.8 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine Schriftstellerin fliegt für eine Lesetournee von Irland nach Nordamerika. Es wird eine Entdeckungsfahrt in die Vergangenheit, eine Reise zu ihrer großen Liebe - und eine gefährliche Balance zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Mit unbestechlicher Konsequenz erforscht Die Erfindung von Liebe und Tod die äußerste Grenze der Vereinigung zweier Menschen.

Autorenportrait

Gabrielle Alioth, 1955 in Basel geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften und Politik, arbeitete bei der Prognos und an der Universität Basel und siedelte 1984 nach Irland über, wo sie heute als Schriftstellerin und freie Publizistin lebt. Für ihr literarisches Werk und ihre Kinderbücher wurde sie mehrfach ausgezeich-net, etwa mit dem Hamburger Literaturpreis.

Leseprobe

Osten Beim Erwachen sehe ich das glitzernde Band eines Flusses im schwarzen Land unter mir. Die Stewardess hat das Tablett mit dem Essen weggeräumt und das Tischchen hochgeklappt. Die Wolldecke der Fluggesellschaft reicht mir bis zum Kinn. Ich weiß nicht, wie es mir gelungen ist, mich darin einzuwickeln. Auf dem Bildschirm vor mir verwandelt sich eine Frau in einen Seehund. Ich habe geträumt, ich sei noch immer in Irland, in dem Haus über dem Tal, und etwas Unsichtbares folge mir. Die Sitze neben mir sind leer, auch die Stewardess ist nicht zu sehen. Auf meiner Armbanduhr ist es halb drei. Ich kann nicht lange geschlafen haben, in meinem Magen gärt noch der Wein. Vor der Landung wird der Pilot die Lokalzeit melden, und ich werde meine Uhr danach stellen. Wolken beginnen die Erde zu verdecken. Der Schatten des Flugzeuges gleitet in einem regenbogenfarbigen Kreis darüber, die Sonne steht knapp über dem Horizont. «Ich verstehe dich nicht mehr», hatte Philipp am letzten Abend gesagt. Die Dunkelheit hatte das Tal vor dem Fenster verschluckt, und während er sprach, betrachtete ich mein Gesicht in der Scheibe. Der Gedanke, mein Spiegelbild nie wieder in dem verzogenen hölzernen Rahmen zu sehen, erfüllte mich plötzlich mit Trauer. Mit einem Ruck setzt die Maschine auf der Landebahn auf. Hinter mir fällt etwas zu Boden. Das Abbremsen zieht mich aus dem Sitz, und Ernüchterung steigt in mir hoch, als hätte ich gehofft, in der Luft zu bleiben. Während das Flugzeug zum Anlegedock rollt, schminke ich meine Augen, ziehe die Lippen nach und suche in meinen Unterlagen nach dem Namen des Professors, der mich abholen wird. Er war mit allem einverstanden gewesen, als wir vor ein paar Tagen telefonierten. Am Ende des Gesprächs sagte er, er werde mich nach dem Foto auf dem Umschlag meines Romans erkennen, und ich konnte ihm nicht erklären, dass ich nicht mehr jenes glatte, wehrlose Gesicht habe. Am Morgen nach dem Streit hatte Philipp mich zum Flughafen gefahren. Wir standen uns mit hängenden Armen gegenüber. Ich klammerte mich an den Griff der Mappe, in der die Beschreibung von Duncan lag, seinem Blick, seinem schwarzen Schopf. Bevor ich durch die Glastür in die Abflughalle ging, drehte ich mich noch einmal um, aber Philipp war abgefahren. Der Professor ist ein kleiner, rundlicher Mann in einem Tweedjackett. Er steht hinter der Abschrankung mit meinem Buch in der Hand, und sein Gesicht erhellt sich, als ich auf ihn zugehe. Er trägt meinen Koffer, bietet mir ein Karamellbonbon an. Auf der Fahrt zur Universität stelle ich die üblichen Fragen. Das Karamellbonbon klebt an meinen Zähnen. Die Stadt liegt zwischen vier Seen. Wir fahren an pastellfarbenen Holzhäusern vorbei, die wie für eine Postkarte auf einer kurz geschnittenen Rasenfläche nebeneinander aufgereiht sind. Es gibt keine Hecken hier, die letzten Schneekrusten schmelzen am Straßenrand. Während der Professor die Studenten und seine Kollegen begrüßt, ordne ich meine Notizen. Wir sitzen in einem hohen, etwas zu kühlen Raum, der für solche Veranstaltungen gebaut wurde. Der Professor liest meinen Lebenslauf vor: Auslandsaufenthalt, Studium - Forscherin, Journalistin, Emigrantin. An der Zukunft gescheitert, von der Gegenwart enttäuscht, in die Vergangenheit geflüchtet.«Jedes Mal, wenn die Geschichte erzählt wird, ist es eine andere.» Ich beginne mit einer Stelle aus dem Anfang des Romans. Danach lese ich die Beschreibung ihrer ersten Begegnung, in der Morgendämmerung unter den Apfelbäumen, und die ihres Abschieds. Meine Stimme zittert noch immer dabei. Die Zuhörer sind vollkommen still. Sie werden nicht fragen, woher ich die Gefühle einer Frau kenne, die Jahrhunderte vor mir gelebt hat. Zum Schluss lese ich, wie das Feuer das Gewölbe der Apotheke zerst Leseprobe